Wunderbar statt normschön
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Foto Spiegel: Mick Haupt (Unsplash), Foto Carlotta: Heike Roessing
Welche Rolle spielen Lookism und Normschönheit in Kirche und The*logie? Wie kann eine konterkulturelle Kritik von Körper- und Schönheitsbildern gelingen?
Lookism bedeutet übersetzt wohl so viel wie Diskriminierung aufgrund einer Überbetonung des Aussehens. Noch ein -ismus! Ich kann nachvollziehen, dass angesichts der weitreichenden Palette an Perspektiven, die für eine diskriminierungssensiblere intersektionale Kirche und The*logie bereits einbezogen werden, noch so ein „-ismus“ vielleicht nicht direkt Anklang findet.
Dabei ist Lookism ehrlich gesagt gar kein Add-On, keine zusätzliche Kategorie. Vielmehr handelt es sich um eine Art Meta-Kategorie, unter der verschiedene Aspekte verbunden werden. Denn in vielen Fällen von Diskriminierung geht es um äußerliche Vorannahmen über Menschen, von denen aus auf Eigenschaften geschlossen wird.
Autor:in
Carlotta Israel
Carlotta Israel (Instagram, Bluesky) ist evangelische Theologin und hat zum Thema „Evangelische Frauenordination im geteilten Deutschland“ promoviert. Als Feminismus-Agentin begibt sich Carlotta Israel in ihrer Kolumne „Sektion F“ für uns auf die Spuren des intersektionalen Feminismus in Kirche, Gesellschaft und Theologie. (Foto: Heike Roessing)
Ich vermute, ein -ismus, der noch weniger bekannt ist als Lookism, der aber oft als erstes mit ihm verbunden wird, ist Sizeism, also (Kleidungs-)Größen-ismus: Eine Privilegierung für die einen, eine Diskriminierung für andere aufgrund ihrer Körpergröße. Meist wird dabei zunächst an das Gewicht gedacht und weniger an die Körperlänge, aber auch die könnte einbezogen werden. Wenn es um das Körpergewicht geht, könnten wir auch von Weightism sprechen. Jedenfalls sind unterschiedliche Begriffe im Umlauf, so ganz trennscharf wird dabei aber – meiner Wahrnehmung nach – nicht abgegrenzt.
Pretty Privilege, das tatsächlich auch Halo-Effekt, also Heiligenschein-Effekt, genannt wird, ist die aus der Sozialpsychologie stammende Erkenntnis, dass Menschen, die gesellschaftlichen Schönheitsnormen entsprechen, positive Attribute zugesprochen werden. Dünne Personen werden oft als kompetenter und klüger eingeschätzt als dicke_fette Personen. Kleiner Hinweis: Dick_fett sind ähnlich wie „queer“ (oder aus der Kirchengeschichte auch der Begriff „Pietisten“) zunächst als Beleidigung gedachte Begriffe, die dann von Erfahrungsexpert*innen angeeignet wurden.
Im Hintergrund steht bei Gewichtsdiskriminierung ein Verständnis davon, dass Mehrgewichtigkeit damit zusammenhängt, dass sich Menschen nicht „zusammenreißen“ können und selbstverschuldet aufgrund von Faulheit und Zügellosigkeit dick_fett geworden sind. Normalerweise bin ich keine Freundin von biologischen Herleitungen, aber: So einfach ist Dick_Fettsein nicht erklärt! Auch die Genetik spielt eine Rolle (das ist seit über 20 Jahren bekannt).
Ist Dick_Fettsein eine Sünde?
Der dünne Heiligenschein, der Leuten übergehängt wird, zeigt vom Wort her aber auch schon eine Verbindung dazu, wie auf Gewicht in christlichen Kontexten geblickt wird. In (oft) US-amerikanischen Abnehmprogrammen wie „Slim for Him“ oder „Jogging for Jesus“ – auf Awful Library Books hat Mary Kelly das sehr schön zusammengefasst – zeigt sich ein darunterliegendes Verständnis: Gott möchte, dass du dünn bist! Feministische Körpertheologinnen wie Lisa Isherwood und Hannah Bacon haben herausgearbeitet: Dick_Fettsein wird als Sünde gesehen. Lisa Isherwood zitiert in ihrem Buch „Fat Jesus. Feminist Explorations in Boundaries and Transgressions“:
„1957 schrieb Charlie Shedd ein Buch mit dem Titel „Bete dein Gewicht weg“, in dem behauptet wird, dass Fette („fatties“) Menschen seien, die buchstäblich ihre Sünde wiegen könnten. Fett, behauptete er, sei die Verkörperung von Ungehorsam gegenüber Gott, weil es den Heiligen Geist daran hindere, das Herz zu penetrieren – er könne nicht durch die Schichten von Fett kommen.“ (S. 71, Übersetzung von mir)
Da dreht sich bei mir alles um! Was ist das denn für ein G*ttes- und Menschenbild? Wie im Grunde unfähig wird sich hier denn der*die Heilige Geist/kraft vorgestellt? Sorry, aber das ist wirklich erschreckend! Wenn das Evangelium dafür missbraucht wird, dass statt Befreiung und G*ttes Liebe Dünnsein im Zentrum stehen soll, dann kann das nicht die wirkliche Gute Nachricht sein!
Nun sind solche Programme nicht nur einer bestimmten Ideologie von Körperlichkeit zuzuordnen, sondern finden sich deutlich ausformuliert nur in einigen christlichen Theologien und Frömmigkeiten. Die Wechselwirkung von christlichem Glauben und US-amerikanischer Kultur ist unübersehbar. Der „Missionsdrang“ der Anti-Fett-Aktivist*innen gründet in nicht geringem Maße auch in ihrem evangelikal-erwecklichen Glauben, den so nur wenige Menschen in Deutschland teilen. Eine christliche Konfessionskunde der Körperbilder und -Theologien wäre schon allein deshalb eine lohnende Sache, um dieser Spielart des Christ*innentums die – häufig medial vermittelte – Deutungshoheit darüber streitig zu machen, was als „christlich“ verhandelt wird.
Fakt ist aber: Die Verbindung von Essen zur „Sünde“, die sich ja schon von der Todsünde der Völlerei her nahelegt, spiegelt sich auch in nicht explizit christlichen Diätprogrammen wider. Dazu empfehle ich besonders Hanna Bacons Buch „Feminist Theology and Contemporary Dieting Culture. Sin, Salvation and Women‘s Weight Loss Narratives”. Für ihre empirischen Forschungen zum Sündenverständnis in diesem Zusammenhang hat sie selbst eine Diätgruppe besucht.
Normschöne Körper überall
Neben der the*logischen Aufgabe, sich gegen solche Körper- und Sündenverständnisse zu wehren, ist Gewichtsdiskriminierung in der Kirche auch durchaus gegenständlich anzugehen: Welche Sitzgelegenheiten gibt es in unseren Kirchen und Gemeindehäusern? Müssen sich dicke_fette Menschen darüber Gedanken machen, ob darauf Platz zu nehmen, ok ist? Bauliche Barrieren, die im Sinne einer Ableismus-kritischen Kirche im Blick sind, können auch dicke_fette Menschen ausgrenzen. Welche Relevanz hat das Körpergewicht bei amts- oder vertrauensärzt*lichen Untersuchungen im Zusammenhang mit Verbeamtungsverfahren am Berufseinstieg?
Ist die Rolle, die Lookism bei der Nachwuchs-Werbung und der Besetzung von Mitarbeiter*innen-Stellen spielt, ausreichend reflektiert? Ein Blick auf die Social-Media-Accounts, die sich an Interessent*innen für das The*logiestudium oder an zukünftige Auszubildende für diakonische und kirchliche Berufe richten, stimmt mich skeptisch. Wie auch bei anderen Geisteswissenschaften und den Mitbewerbern auf dem Sozial- und Lifestylemarkt überwiegen bei Kirche und The*logie die normschönen Körper.
Eule-Redakteur Philipp Greifenstein erklärt ja gerne, die digitale Kirche könne immer nur widerspiegeln, wie die analoge Kirche ist, weil sie auf sie bezogen bleibt. Aber das stimmt so nicht: Gerade auf Social-Media-Plattformen präsentieren sich The*logie und Kirche so, wie sie gerne sein würden. Und das heißt (zum Glück!) häufig: Vielfältig und divers, diskriminierungssensibel, offen und fröhlich. Alle sind willkommen! Aber – sind alle konventionell attraktiv?
Dass die Dauerpräsenz von normschönen, konventionell attraktiven Menschen andere Menschen ausschließt, liegt meiner Meinung nach auf der Hand: Gehöre ich mit meinem nicht-normschönen Körper wirklich dazu? Entspreche ich dem Bild, das sich Kirche und The*logie von sich selbst machen?
G*tt aber sieht das Herz an!
Nehmen wir einmal ernst, dass Lookism eine Meta-Kategorie ist: Vom Äußeren her wird auf etwas vermeintlich Charakterliches geschlossen. So wurde und wird in rassistischer Weise von Körperbeschaffenheiten auf Typologien geschlossen und davon ausgehend rassistisch klassifiziert. Von ihrer Erscheinung her wird auf das Geschlecht von Menschen geschlossen, so dass sie dann – je nach dem – patriarchal bevor- oder benachteilt werden. Ableismus, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, beruht ebenfalls auf der äußeren Erscheinung. Und wenn eine Behinderung und/oder chronische Krankheit oder Neurodivergenz unsichtbar ist, ist es für Erfahrungsexpert*innen schwieriger, Rechte und Räume dafür einzuklagen.
Vom Blick auf das Äußerliche sind alle betroffen. Natürlich nicht in der gleichen Weise, aber alle sind im ureigensten Sinn des Wortes betroffen davon, dass Weightism, Sexismus, Rassismus, Ableismus usw. Menschen kategorisieren und wir davon ausgehend darauf schließen, wie sie tatsächlich sind. Ganz zu schweigen davon, dass von Markenkleidung, Accessoires und Kosmetik auf Schichtzugehörigkeiten geschlossen wird und – insbesondere Frauen – als „billig“ verschrien werden, je nach dem, wie sie ihren Körper gestalten.
Alle sind betroffen, nur in unterschiedlicher Weise: Manch eine*r profitiert vom Pretty-Privilege-Patriarchat, andere fallen hinten runter, wenn von Außen auf Inneres geschlossen wird. Dieses Denken können wir mit der Bibel im Gepäck problematisieren: Es geht nicht um äußerliche Zeichenhaftigkeiten und damit auch nicht um vermeintliche G*ttesbeziehungen – wie im Duell von Elia und den Baals-Priester*innen –, sondern um Befreiung.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; G*tt aber sieht das Herz an“ – diesen Satz aus der Davidsgeschichte kennen viele vielleicht als schönen Bibelvers, als Tauf- oder Konfirmationsspruch. „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete“, spricht G*tt zum Propheten Jeremia. Und auch den 139. Psalm kann mensch mit Jugendlichen und Erwachsenen lookism-kritisch auslegen: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin!“ und nicht „Ich danke dir, dass ich normschön gemacht bin.“
Stop commenting bodies!
Die Zeit ist reif, dass Kirche und The*logie versuchen, sich dem allgegenwärtigen Privilegierungs-/Diskriminierungsstrudel zu entziehen. Dazu gehört mindestens, sich ihm bewusst zu stellen. Konterkulturell, so nennt es die The*log