Monika Renz: Habe Ahnung von Schrecklichkeit und möchte deswegen Menschen beistehen
https://zulehner.wordpress.com/2025/07/16/monika-renz-habe-ahnung-von-schrecklichkeit-und-mochte-deswegen-menschen-beistehen/
© Seraina Boner
Die Sterbeforscherin Monika Renz begleitet sterbende Menschen. Manche von ihnen finden wieder ins Leben zurück. Ein Gespräch darüber, wie Menschen in heilsame Prozesse kommen, was Hoffnung bedeutet – und wie man weiterlebt nach einer Nahtoderfahrung.
Jacqueline Straub
Ihr neustes Buch heisst «Meine Hoffnung lasse ich mir nicht nehmen». Wem wollen Sie damit Hoffnung schenken?
Monika Renz*: Ich habe Menschen vor Augen, die nach Hoffnung und sinnerfülltem Leben dürsten und dies auch in unserer Welt – Gesunde wie Kranke und ihre Begleiter. Auch Menschen, die wahrnehmen, dass in unserem Zeitgeist vieles nicht mehr stimmt und die tiefer verstehen, aber nicht einfach in der Resignation landen möchten, sondern in der Hoffnung. Dies ist nicht ein Buch über das Sterben, sondern über heilsame Prozesse, in denen Menschen tiefer schauen und sich solchermassen von der Tiefe her berühren lassen möchten. Ein Buch auch über spirituelle Wege wie «Glauben aus Erfahrung».
Sie berichten von unterschiedlichen Menschen, die Nahtoderfahrungen erfahren haben. Wie hat dies Ihr Menschenbild geprägt und auch Ihren Umgang mit der Vorstellung von einem Leben nach dem Tod?
Renz: Nahtoderfahrungen haben meinem tiefen, aber sprachlosen Gefühl, dass es etwas über unseren Alltag Hinausgehendes gebe, Worte, Bilder und Ahnungen gegeben. Für Gott, der war, der ist und der sein wird (vgl. Offb 4,8). Ich habe auch neue Vorstellungen von Gott, dem Göttlichen und vom Himmelreich erhalten: ohne Zeit, ohne räumliche Gebundenheit, ein Sein und doch etwas, das Menschen als verbindlich bezogen erleben.
«Diese Berichte geben mir die Zuversicht, dass das Leben sinnhaft ist, selbst im Leiden.»
Licht etwa ist eine in Nahtoderfahrungen oft geschaute Metapher.
Renz: Das stimmt. Aber, dass dieses Licht auch rufen oder auch freudig stimmen kann, dass in ihm alle Sorgen wie aufgehoben, ja sogar wie von Gott her gelöst sein können, hätte ich mir nie träumen können ohne die Berichte dieser Menschen. Diese Berichte geben mir auch die Zuversicht, dass das Leben sinnhaft ist, selbst im Leiden. Zugleich ist mir wichtig zu sagen, dass wir uns dem Geheimnis nur ahnend annähern können. Gott bleibt unseren Sinneswahrnehmungen entzogen. Mir ist aber wiederum der Blick ins Leben wichtig: Vom Letztgültigen her betrachtet, lebt es sich anders. Und dies erst recht, wenn Menschen eine solche Erfahrung gemacht haben.
Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Gespräche mit Sterbenden geführt. Wie hat sich deren Gottesbild durch Krankheit und Leid verändert?
Renz: Es wurde weiter, tiefer, inniger. Gott wurde etwa erfahren als der ewig Andere. Menschen, die exakt zu wissen glaubten, wer oder wie Gott sei, kamen ins Zweifeln, weil sie Gott nicht vorfanden. Vorerst jedenfalls nicht. Und dann kam bisweilen eine Erfahrung, die tiefer griff als alle Vorstellungen. Andere Menschen spürten etwas, was kaum zu umschreiben war, sie gingen auf dieses zu und schreckten doch davor zurück. Häufig fanden sterbende Menschen durch Prozesse hindurch in einen tiefen, wortlosen Frieden.
© Sabine Zgraggen: Eine sterbende Person
Was erahnen Sterbende?
Renz: Die meisten Sterbenden sterben still, vielleicht mit einer Mimik. Sie nehmen ihre Geheimnisse stumm hinüber. Manche reagieren auf eine für sie offenbar wichtige Frage. Dann erhalten wir eine vage Ahnung. Wenige haben ein Bild oder tragen gar eine Vision in sich. Sie schauen etwas, dass nur sie sehen. Und die sind davon – ob religiös oder unreligiös – ergriffen.
Was für Bilder sind das?
Renz: Eine Farbe, eine Blumenwiese, eine Treppe schräg hinüber, eine Würdigung auf einem schönen Thron, die gesuchte Zahl der Formel hinter allem Leben. Die Bilder sind sehr verschieden, wohl auch persönlich. Und doch gibt es Charakteristiken, die immer wieder kommen.
Und zwar?
Renz: Etwa, dass es so intensiv ist. Oder – wenngleich auch zwischendurch dunkel – ist es letztlich so schön, erhaben und leicht. Wie Licht.
«Die Hoffnung schafft die Zukunft.»
Wie viele Menschen haben Sie bislang im Sterbeprozess begleitet?
Renz: Ich weiss es nicht so genau. Vermutlich über 1000 Menschen. Oben genannte Visionen von wenigen sind bei so vielen Sterbenden doch recht zahlreich und können in uns etwas verdichten: eine Hoffnung, einen Sinn, eine andere Welt, ein neuer Ausgangspunkt von Leben. In meinen neuen Buch sind nur ganz kurze Statements von Sterbenden wiedergegeben, sozusagen als Ausgangspunkt, um Leben, um das Letztliche und um Reifungsprozesse dahin zu verstehen.
In Ihrem Buch geht es also um Reifungsprozesse.
Renz: Genau. Und darum, dass – berührt vom Letztlichen und gar Sterbenden vor Augen – Hoffnung aufkeimt. Einfach so.
Was ist für Sie Hoffnung?
Renz: Hoffnung mache ich nicht, sie ist oder wäre da. Hoffnung ist wie ein Urvertrauen oder Lebendigkeit. Hoffnung habe ich nicht, weil die Realitäten dazu berechtigen, sondern umgekehrt: Die Hoffnung schafft die Zukunft. Hoffnung ist die Lebenskraft, die uns nach vorne bewegt. Ob wir Hoffnung konkret empfinden oder nicht, ist so gesehen eine Frage des Angeschlossen-Seins. Angeschlossen an diese Kraft, an die letztliche Quelle, religiös gesprochen an Gott. Hoffnung bringt Kraft, Mut, aber auch konkrete Ideen, was ich nun tun könnte. Etymologisch ist Hoffnung dem Hüpfen, Hoppeln (to hope) nahe. Hüpfend geht der Mensch anders durchs Leben.
«Manche Kranke brauchen Hilfe, um einen Traum besser zu spüren.»
Sie schreiben in Ihrem Buch auch über Träume. Welche Bedeutung haben diese im Leben und Sterben?
Renz: Ja, Träume haben für mich in meiner persönlichen Lebensführung eine wichtige Bedeutung, sie sind Seelenführer. Ähnliches gilt für Momente, in denen wir – voll in der Gegenwart lebend – doch in Verbindung sind mit dem, was uns tiefer zu bewegen oder auszumachen scheint. Ich möchte Ihnen ein Beispiel von einer Frau erzählen.
Sehr gerne.
Renz: Einer Frau träumte von einer aufkommenden Blume. Doch die Blume stand am falschen Ort. Dazu hörte sie die Worte. «Kehr zurück». Nachspürend merkte sie, dass die Blume für ihr eigenes Gedeihen stand, sie aber etwas in ihrem Leben gründlich verändern musste.
Wie können Träume Kranken und Sterbenden helfen mit dem Ungewissen besser umzugehen?
Renz: Manche kranke oder sterbende Menschen brauchen Hilfe, um einen Traum besser zu verstehen und zu spüren. Ein schwerkranker Mann mit gelegentlichen Schmerzattacken träumte von einem Schlüsselbund. Alle Schlüssel musste er abgeben. Auch seine Brille. Auf meine Frage, wozu er die Brille brauche in seinem heutigen bettlägerigen Leben, ob er gerne lese, antwortete er: «Nein, ich mag nicht lesen. Mit der Brille überprüfe ich die Medikationslisten.» Ihm war schlagartig klar, dass er alles Überprüfen loslassen müsse. Vertrauen statt prüfen. In der Folge wurde er müder und müder und hatte kaum mehr Schmerzen.
«Bei Sterbenden ist für mich Erlösung bisweilen erahnbar.»
Können Sie Sterbenden die Angst vor dem Tod nehmen?
Renz: Oft ja. Im Sterbeprozess selbst hilft Nonverbales, mein Erfahrungswissen, unsere Zuversicht, unser verbindliches Dasein, Klangreisen, mein angehender Therapiehund. Bisweilen kommt Vertrauen durch Prozesse des Loslassens oder des Verzeihens hindurch auf.
Wie hängen Erlöst-Sein im Leben mit dem Erlöst-Werden im Sterben zusammen?
Renz: Erlösung besagt vor allem, dass wir es hier mit etwas zu tun haben, das wir nicht selbst vermögen. Wir können zwar eine Zielrichtung vor uns haben, zu einem letztlich unfassbaren Ziel, wir können Schritte in eine gewisse Richtung wagen und Hindernisse aus dem Weg räumen.
Aber ist Erlösung nicht irgendwann vielmehr Geschehen-lassen, als ein Tun?
Renz: Genau. Es geschieht etwa durch existenzielle Liebe anderer, durch Vergebung, durch Gemeinschaften, aber auch durch tief spirituelle Erfahrungen. In allem durch Gott oder die Dimension des Göttlichen. Bei Sterbenden ist für mich Erlösung bisweilen erahnbar, wissen tue ich es nicht. Es gibt in verschiedenen Kulturen Erlösungsmärchen: Ihnen zufolge muss die Heldin, der Held lange Wege abschreiten und am Schluss geschieht etwas, was existenziell berührt. Der Mensch muss nur einfach berührbar sein – vielleicht wach, bejaht, vielleicht einfach tief innen.
© Sabine Zgraggen
Sie selbst hatten in der Vergangenheit mit vielen, teils schlimmen, Krankheiten zu kämpfen. Wie hat Sie das geprägt?
Renz: Das war und ist mein Leben. Ich liebe das Wesentliche, bin weit weggerückt von vielen Banalitäten und Gemeinplätzen der Gesellschaft. Ich weiss, was Wichtiges genau in den Brennpunkten des Leides aufbrechen kann. Ich habe aber auch eine Ahnung von der Schrecklichkeit solcher Stunden und möchte deswegen den Menschen beistehen – und ihnen Mut oder meinen Respekt zuschreien. Ebenso mit ihnen zusammen Gott anrufen und mit ihnen zusammen offen werden. Ich wollte schon als Kind dorthin, wo es wirklich brennt, ich bin keine Wellnesstherapeutin.
*Monika Renz ist promovierte Theologin. Sie arbeitet als Psychoonkologin, Musik- und Psychotherapeutin am Kantonsspital St. Gallen. Zudem ist sie Buchautorin zahlreicher Bücher und hält international Vorträge. Ihr neustes Buch «Meine Hoffnung lasse ich mir nicht nehmen. Wege der Erlösung und der Spiritualität heute» ist im Herder-Verlag erschienen.
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via REL ::: Paul M. Zulehner https://zulehner.wordpress.com
July 16, 2025 at 11:57AM