Himmelsgeschenke für eine taumelnde Welt.
https://zulehner.wordpress.com/2025/08/08/himmelsgeschenke-fur-eine-taumelnde-welt/
Eine politische Meditation.
Paul M. Zulehner, Salzburger Hochschulwochen, 2025 Dankesrede.
Ich danke den Salzburger Hochschulwochen und Ihren Verantwortlichen ganz herzlich für diese renommierte Ehrung. Ich schätze sie umso mehr, als diese internationale und interdisziplinäre Sommeruniversität auf eine herausragende Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. Sie hat viel zu dem beigetragen, was die Welt heute braucht: Menschen, die sich randvoll mit dem Evangelium in der Weltgestaltung einbringen.
Auch der Laudatorin Klara Cziszar danke ich für ihre kundigen und amikalen Worte. Sie hat, wie es sich bei solchen Anlässen gehört, alle Hinweise auf meine durchaus vorhandenen Schwachstellen und Einseitigkeiten vornehm vermieden.
Gerne komme ich nunmehr der Einladung nach, Sie für eine halbe Stunde in meine aktuelle forscherische Werkstatt mitzunehmen und ihnen damit einen Einblick zu ermöglichen, was mich derzeit praktisch-theologisch umtreibt.
Es war am 24.2.2024. Ich war zu einer Online-Konferenz an der griechisch-katholischen Universität in Lviv zugeschaltet. Erster Redner war Peter Mc Cormick, französisch-kanadischer Jesuit, ein Sozialethiker, der am Interntionalen Institut für Philosophie in Paris lehrt. Nach seiner Rede war Luftalarm, was den Kongress abrupt beendete. Eine Aussage von ihm brannte sich in mein Gedächtnis ein und spielt seither eine wichtige Rolle in meinem Forschen: „We are living in a tumbling world!“
- We are living in a tumbling world.
Es sind viele Megachallenges, welche die Welt taumeln lassen. Ein dritter Weltkrieg auf Raten findet statt, so Papst Franziskus wiederholt ebenso wie auch Papst Leo. Mir ist bange, dass wir derzeit wieder Pflugscharen in Schwerter zurückschmieden und nicht mehr das Ziel verfolgen, friedens- , sondern kriegstauglich zu werden. Die Bilder von Kindern, zu Skeletten abgemagert, schreien im Sinn des Ersten Testaments zum Himmel. Auch der nächtliche Bombenterror in der Ukraine trägt Züge eines Kriegsverbrechens.
Dazu kommt der Klimanotstand; er wird von den Experten des IPCC für besorgniserregend gehalten, weil wir uns immer rascher irreversiblen Kipppunkten nähern und damit die Kontrolle beim Erhalt eines stabilen Klimasystems verlieren. Viele bewegt die uns an- und oft überfordernde Migration. Diese scheint manchen Kommunen und Schulen über den Kopf zu wachsen und dämpft die durchaus vorhandene Bereitschaft, tatkräftig zu helfen.
Im Kielwasser solcher Herausforderungen wächst die Angst. Die Hoffnungsressourcen scheinen unseren Bevölkerungen auszugehen. Das Taumeln der Welt macht ängstlich und besorgt. Zudem bedrückt es viele von uns, dass diese Angst von politischen Populisten und religiösen Fundamentalisten gezielt gemehrt und schamlos wahltaktisch ausgebeutet wird. Angst aber macht böse. Sie entsolidarisiert. Schafft eine Kultur der Rivalität. Wir verteidigen uns gegen unsere eigene Angst durch Gewalt, Gier und Lüge.
Zeichen der Zeit
Als Theologe bin ich mit einer bloßen Beschreibung der Lage nicht zufrieden. Ich will sie aus dem Blickwinkel Gottes als Zeichen der Zeit deuten, durch welche Gott unser Erkennen erhellt und in unserem Tun beflügelt. Dabei beunruhigt mich, dass im Zuge des Abschieds von der Konstantinischen Ära die christlichen Kirchen mit Strukturwandel, Synodalisierung eingeschlossen, so sehr beschäftigt sind, dass wir zu einer gediegenen Theologie der Welt kaum noch Zeit und Kraft haben. Es wäre mir ein Albtraum, wäre bald die Kirche perfekt durchreformiert (Frauenordination einschließlich) und die Welt taumelt in den Abgrund.
Bei der Suche nach einer Theologie der Welt von heute bewegt mich schon geraume Zeit ein Zitat aus dem alttestamentlichen Buch des Propheten Joël über die Leidenschaft Gottes zunächst für sein Land. Ich begreife sie als Leidenschaft für seine Welt: auch und gerade, wenn sie taumelt. Gott steht unbeirrbar treu zu ihr (Dtn 32,4). Der Regenbogen ist das Zeichen dafür. Dieser machte schon das Disembarking der Arche Noah nach dem ökologischen Desaster der großen Flut zur ersten Regenbogenparade.
1941 dichtete die gebürtige Boznerin Maria-Luise Mumelter-Thurmair zu einer Melodie von Melchior Vulpius aus dem Jahre 1609 das Kirchenlied „Der Geist des Herrn erfüllt das All“ (GL 347). Darin erinnert sie an das allgegenwärtige Wirken des Geistes Gottes in der gesamten Geschichte. Eben dieses Wirken des Geistes dient zur Operationalisierung der Leidenschaft Gottes für seine Welt. Gott ist mit seinem Geist vom Urknall an ständig am Gebären, weshalb die Theologie von einer creatio, näherhin nativitas continua spricht. Teilhard de Chardin erahnte, dass Gottes Geist der Liebe die treibende Kraft der Evolution auf ihre Vollendung hin ist. Sein grandioser Entwurf findet sich in modernen Wissenschaften wieder. Für Gottes Liebe steht dann beim Soziologen Hartmut Rosa oder beim Neurowissenschaftler Joachim Bauer Resonanz. Oder um es in Anlehnung an die Tonsprache des Genius dieser Stadt, Wolfgang Amadeus Mozart, zu formulieren: Das macht die Weltgeschichte zu einer andauernden Schöpfungssinfonie, an der alles mitwirkt und alle mitspielen.
Das Taumeln der Welt von heute ist also kein Grund zu Kassandrarufen von „calamity howlers“, Unglückspropheten, um meinen Lieblingspapst Johannes XXIII. zu ehren. Er war davon überzeugt, dass die Welt nicht so schlecht ist, wie manche fundamentalistische Katholiken sie manchmal gern hätten, um unsere rettende Bedeutung zu steigern. Roland Schwab, Regisseur von Tristan und Isolde, beobachtete zwar: „Wir riechen gerade die Apokalypse“: Aber genau das beflügelte ihn, im Theater einen Sehnsuchtsraum aufzumachen, der apokalyptischen Defätismus vertreibt.
Allerdings ist der Hinweis auf das Taumeln der Welt ein Aufruf zur Urgency, zu dringlich gebotenem entschlossenem Handeln. Und dies im Zusammenspiel der besten Köpfe von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik. Damit könnte die Grundlage für eine Politik voll Zuversicht und Vertrauen geschaffen werden, welche die von Ruth Wodak so benannte desaströse „Politcs of Fear“ zurückdrängen könnte. Das „Wir schaffen das“ von Angela Merkel mag überheblich klingen: Aber theologisch besehen ist es ein angemessener Satz. Denn wenn Gott Leidenschaft für die Welt hat, die sich im Wirken seines Geistes realisiert, , und wir seine Handlanger sind, wer sollte dann gegen uns sein? Daran werden auch all jene scheitern, die sich, besessen von gewalttätigen und lügenschwangeren Großmachtsfantasien und Gieren nach Macht und Reichtum, dem Menschheitsgemeinwohl in den Weg stellen: was in einer unglaublicher Unverfrorenheit derzeit weltweit zunimmt. Sollte eine Aussage des Psychiaters und Psychotherapeuten Ernst Kretschmer (1888-1964) auch heute zutreffen? Mit Blick auf Adolf Hitler über die Psychopathen, deren Markenzeichen Gotteswahn und Leidunempfindlichkeit sind, sagte er: In guten Zeiten therapieren wir sie, in schlechten beherrschen sie uns? Wilfried Haslauer hatte schon ins Schwarze getroffen, wenn er unter Berufung auf Stephan Zweig und Heimito von Doderer bei einer früheren Eröffnung der Salzburger Festspiele 2023 sagte: „Die Dämonen sind los, in uns und um uns“. Aber gerade dann, wenn buchstäblich der Teufel los ist, erwacht umso mehr Gottes Leidenschaft für sein Land. Gerade die Zeit der Dämonen ist auch eine Zeit des Geistes Gottes.
Wer seinen spirituellen Blick schärft, kann das Wirken des Geistes gerade heute nicht übersehen:
Das Wirken des Geistes zeigt sich in der verbreiteten Sehnsucht so vieler Menschen nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach einer Mitwelt, in der man das Wasser trinken und die Luft atmen kann, ohne dass sie schaden, und in der die Bienen nicht sterben, weil dies nach Albert Schweitzer in kurzer Zeit zum Ende der Menschheit führen würde.
Gottes rettendes Geistwirken offenbart sich in so vielen Menschen, die sich persönlich wie politisch gerade auch heute einsetzen für Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit. Ich denke an die UN und ihre 17 Sustainable Developement Goals (SDG). In den Sinn kommen mir die Gründungsväter der EU, die beflügelt vom Geist des Evangeliums einen Grund legten für Frieden, für einen green deal und für eine menschenrechtstaugliche Migrationspolitik.
Und wo haben in diesem Weltgeschehen jene ihren Platz, die sich als Follower Jesu verstehen und jener Bewegung angehören, die bis heute den Ehrennamen Kirche trägt? Ein Ehrenname, den unsere schändlichen Sünden verdunkeln, aber dem auch diese letztlich ihr Licht nicht nehmen können? Jener Kirche, von der wir uns manchmal beschämt und verschämt wegstehlen wollen, um dann doch wieder, wie der Prophet Jona auf der Flucht von Gott eingeholt, widerwillig ins vermeintlich säkularisierte Ninive geschickt zu werden, in eine „Stadt, in der 120 Tausend Menschen wohnen und noch dazu so viel Vieh“? (Jona 4,11)
- Jesu Reich-Gottes-Bewegung
Um beim Klären der Rolle der christlichen Kirchen in der taumelnden Welt von heute voranzukommen, lohnt sich ein Blick auf Jesus und die von ihm ausgelöste NGO, die Jesus-Bewegung.
Ich wähle einen biographischen Zugang. Als 6jähriger lernte ich im Religionsuntericht nach dem „Kleinen Katechismus des katholischen Glaubens“. Er bestand aus Fragen und Antworten. Diese hatten wir – tpyisch deutsch – auswendig zu lernen: die Franzosen lernen par cœur! Die erste Frage lautete: „Wozu sind wir auf Erden?“ Die Antwort: „Um Gott zu erkennen, ihn zu lieben und ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Dieses Programm hatte die religiöse Praxis meiner Kindheit geprägt.
Später im Studium fiel mir ein Spruch des Aachener Bischofs Klaus Hemmerle (1929-1994) in die Hände. Dort las ich: „Wir Christen sind nicht auf Erden, um in den Himmel zu kommen, sondern dass der Himmel zu uns kommt.“ Das hat meine Glaubenswelt auf den Kopf gestellt. Ich lernte einerseits mit dem Konzil und meinem Lehrer Karl Rahner zu hoffen, dass