Fünf Jahre »Artikel 91«
https://artikel91.eu/2025/07/14/fuenf-jahre-artikel-91/
»Artikel 91« ist das größte und reichweitenstärkste Fachmagazin zu Datenschutz in Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es ist aber auch das einzige. So stelle ich das, was ich seit mittlerweile fünf Jahren hier mache, regelmäßig vor. (Und meisten lacht jemand zumindest höflich.) Und es gibt mittlerweile viele Gelegenheiten, das zu sagen: Workshops, Vorträge, Podcasts, Konferenzen … Als es hier begann, war das nicht abzusehen: Das Thema ist wirklich sehr nischig. Findet sich genug, um darüber zu schreiben? Finden sich genug Menschen, die das lesen wollen?
Nach fünf Jahren kann ich sagen: Ja. Auch wenn die große Aufregung in der Zeit nach der großen Datenschutzreform von 2018 abgeklungen ist, bleibt Datenschutz für Kirchen und Religionsgemeinschaften ein wichtiges Thema. Trotz zurückgehender Ressourcen bleiben die großen Kirchen dabei, ihren Datenschutz selbst zu regeln – die Arbeit geht also nicht aus. Und obwohl ich das alles nebenher und in meiner Freizeit mache, habe ich immer noch Spaß an der nerdigen Nische.
Viel Wirbel ab 2018
Wann genau der Geburtstag von »Artikel 91« ist, lässt sich nicht ganz genau bestimmen. Die Domain artikel91.eu habe ich am 30. April 2020 registriert – ursprünglich wollte ich nur eine Synopse von DSGVO und KDG online stellen. Daraus wurde nichts: Es fehlte vor allem an geeigneter Open-Source-Software, die für so etwas geeignet war. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon viel über kirchlichen Datenschutz veröffentlicht. Eigentlich wollte ich 2018 nur eine kurze Reportage darüber schreiben, wie sich die Datenschutzreform – das KDG trat einen Tag vor dem Wirksamwerden der DSGVO in Kraft – in der katholischen Kirche auswirkt. »Wieviel WhatsApp ist in der Kirche erlaubt?« war die Überschrift – und erstaunlich viele Leute wollte das wissen. Einige weitere Texte folgten. (Dass die Bedenken der Kirchenbasis so öffentlich wurden, hat mir eine genervte Non-mention im Tätigkeitsbericht eines katholischen Diözesandatenschutzbeauftragten eingebracht. Mittlerweile verstehen wir uns aber gut, er schreibt auch gelegentlich Gastbeiträge hier.)
In den folgenden Monaten blieb das so: Datenschutz lief bei katholisch.de hervorragend. Ehrenamtlich habe ich damals für das BDKJ-Blog zu Digitalen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen einen Artikel zum Thema »Erste Hilfe Datenschutz im Jugendverband« geschrieben. Mehrere Zehntausend Menschen wollten den lesen. Parallel klingelte in der Redaktion immer häufiger das Telefon. Leute wollten von mir Datenschutz-Beratung, schließlich war ich der einzige, der außerhalb der Fachöffentlichkeit etwas zum Thema schrieb.
Rechtskultur in der Kirche
Irgendwann ebbte das Interesse der breiten Öffentlichkeit ab. Ich fand das Thema weiterhin wichtig: Kirchliches Recht ist notorisch undurchsichtig – in der katholischen Kirche sowieso, aber auch in der evangelischen wird trotz öffentlicher Synoden die Rechtspolitik in Arbeitskreisen und Hinterzimmern gestaltet. Das kirchliche Datenschutzrecht, das durch das Einklanggebot des Art. 91 DSGVO an rechtsstaatliche Standards gebunden wird, war da ein guter Hebel, um Licht in die Black box des kirchlichen Rechts, seiner Entstehung und Anwendung zu bringen. Ich interessiere mich eigentlich gar nicht für Datenschutz – sondern für Rechtskultur in der Kirche, ist ein anderes von mir immer wieder gern genutztes Bonmot.
Als ich dann die Domain hatte, lag es nah, statt der geplanten Synopse eine WordPress-Instanz zu installieren (dazu reicht’s bei mir). Ein paar rückdatierte Artikel hatte ich vorbereitet (darunter der allererste Wochenrückblick überhaupt – das Format war von Anfang an dabei, inklusive der Rubrik »Aus der Welt« und dem Überblick über Kirchenamtliches – wenn auch noch nicht als Newsletter). An die Öffentlichkeit ging es dann genau vor fünf Jahren, am 14. Juli 2020 mit einem programmatischen Aufschlag:
»Weltliche Jurist*innen interessieren sich selten für kirchliches Datenschutzrecht, immer noch kann man die Veröffentlichungen an einer Hand abzählen – und eine kritische journalistische Begleitung der Arbeit der kirchlichen Aufsichtsbehörden und Gerichte findet kaum statt. Das wäre aber wichtig: das Datenschutzrecht ordnet in einer Gesellschaft der Digitalität wesentliche Bereiche der Öffentlichkeit, wird aber von Gesetzgeber*innen vernachlässigt und von Aufsichtsbehörden und Datenschutzbeauftragten oft einseitig ohne Abwägung anderer Grundrechte angewandt. Datenschutz ist ein wichtiges Grundrecht in der digitalen Gesellschaft – aber kein Supergrundrecht.«
Entwicklungen und Dauerbrenner
Wie sich »Artikel 91« entwickelt hat, war damals nicht abzusehen. Die Themen in der ersten Zeit waren vor allem Corona-Fragen, Schrems II und der Brexit. Später kamen noch heute aktuelle Dauerbrenner wie die Frage nach dem Verhältnis von staatlichen und spezifischen Aufsichten und der Zuständigkeit staatlicher Aufsichten für körperschaftlich organisierte Religionsgemeinschaften ohne eigenes Datenschutzrecht dazu. Womit ich am Anfang nicht gerechnet habe: Wie relevant das Thema Missbrauch auch für den Datenschutz ist. Immer wieder habe ich über die Verwendung von Akten für die Aufarbeitung und Datenschutzrechte von Betroffenen geschrieben. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass Datenschutz nicht primär ein Compliance-, sondern ein Grundrechtsthema ist.
Bis jetzt sind 590 Beiträge erschienen (nur 13 davon nicht von mir selbst), darunter 253 mal der Wochenrückblick, der als E-Mail-Newsletter mittlerweile der wohl wichtigste Kanal geworden ist: Hunderte Expert*innen und Interessierte lesen ihn Woche für Woche (darunter Aufsichten, Richter*innen an Datenschutzgerichten, Menschen aus Kirchenverwaltungen, Wissenschaftler*innen und natürlich unzählige Menschen aus der Praxis von betrieblichen Datenschutzbeauftragten über Öffentlichkeitsarbeiter*innen zu Mitarbeitendenvertreter*innen und Seelsorger*innen).
Kaum eine wissenschaftliche Artikel-91-Kommentierung kommt ohne einen Verweis auf Artikel hier aus (und demnächst erscheint die erste mit meiner direkten Beteiligung). Eine engagierte Community tauscht sich bei digitalen Stammtischen und in einer Signal-Gruppe aus. (Zugangsdaten und Termine kommen mit dem Newsletter.) Hunderte Menschen konnte ich in Vorträgen, Fortbildungen und Workshops machbaren Datenschutz mit Augenmaß und einem Blick auf Grundrechte näherbringen – immer wieder auch Mitarbeitervertretungen.
Genug des Eigenlobs: Mit Dankbarkeit und Stolz schaue ich auf fünf Jahre zurück – und freue mich auf die nächsten fünf+ Jahre »Artikel 91 – Datenschutz in Kirchen und Religionsgemeinschaften«.
Religion
via Artikel 91 https://artikel91.eu
July 14, 2025 at 10:00AM