Bildungsforscher: Klassenfahrt in jeder Stufe! (“Würde das Schulsystem verändern”)
https://www.news4teachers.de/2025/09/bildungsforscher-zierer-klassenfahrt-in-jeder-stufe-wuerde-das-schulsystem-nachhaltig-veraendern/
BERLIN. Klassenfahrten gehören zum Schulleben – doch sie werden für Lehrkräfte zunehmend zur Belastungsprobe. Im zweiten Teil des großen News4teachers-Interviews zum Thema spricht Bildungsforscher Prof. Klaus Zierer über organisatorische Hürden, finanzielle Grenzen und den Druck, der viele Kolleginnen und Kollegen an ihre Grenzen bringt. Dabei geht es nicht nur um Bürokratie, sondern auch um die Frage, wie viel Verantwortung Pädagoginnen und Pädagogen im außerschulischen Raum überhaupt noch tragen können – und wollen. Aber, so Zierer: Es lohnt sich.
Hier geht es zurück zu Teil 1 des Interviews.
“Die Intensität ist eine völlig andere.” (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock
News4teachers: Wie kann auf Klassenfahrten explizit das soziale Lernen gefördert werden?
Klaus Zierer: Manchmal muss man dafür gar nicht viel tun. Allein die Tatsache, dass man gemeinsam auf Reisen geht, erfordert, dass man sich zusammenrauft. Jeder, der Kinder hat, weiß das. Man muss überlegen: Wie reisen wir? Wann geht es los? Wer bringt was mit? Wie gestalten wir unsere Freizeit? Welches Programm planen wir? Wie organisieren wir die Tage gemeinsam? Da steckt bereits viel Organisation, Absprache, Diskussion und Kompromissfähigkeit drin. All das ist enorm bildend. Sich gemeinsam auf Reisen zu begeben, bringt viele Möglichkeiten mit, soziales Lernen in den Schulalltag zu integrieren. Ganz anders als im regulären Schulbetrieb, wo der Tag durch Stundenplan und Unterrichtsstruktur weitgehend vorgegeben ist.
„Klassenfahrt heißt nicht: als Lehrkraft abtauchen, sondern: hineingehen und Verantwortung übernehmen“
Wenn ich das Ganze dann auch noch pädagogisch begleite und die Fahrt gemeinsam mit der Klasse gestalte, vielleicht auch mit erlebnispädagogischen Elementen, für die im normalen Unterrichtsalltag oft keine Zeit bleibt, dann bin ich mitten in einem sehr sozialen und wirksamen Prozess.
Außerdem lernen die Schülerinnen und Schüler die Lehrkraft in einer ganz neuen Situation kennen. Oft herrscht im Unterricht eine gewisse Nähe-Distanz-Beziehung, die durch die Fachlichkeit, durch Prüfungen und Noten geprägt ist. Wenn man die Lehrkraft aber auf einer Reise erlebt, sie begleitet, mit ihr in Austausch kommt, hat das eine enorm starke persönlichkeitsbildende Wirkung. Es eröffnet ganz neue Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten, die – ebenso wie bei den Schülerinnen und Schülern – für den späteren Unterricht von unschätzbarem Wert sind.
All diese Argumente sprechen dafür, Klassenfahrten nicht am Ende, sondern zu Beginn des Schuljahres durchzuführen. Denn dann kann ich als Lehrkraft von den positiven Effekten über das gesamte Schuljahr hinweg profitieren.
News4teachers: Worauf sollten Lehrkräfte bei der Planung und Durchführung einer Klassenfahrt achten?
Soziales Lernen auf Klassenfahrten
Prof. Zierer sagt: „Der positive Einfluss einer gelungenen Klassenfahrt ist nicht nur unmittelbar danach messbar, sondern zeigt sich auch ein Jahr später noch in den Daten.“
Kein Wunder: Pädagogisch wertvolle Klassenfahrten unterstützen Kinder und Jugendliche gezielt in ihrer Persönlichkeitsbildung, trainieren sozio-emotionale Kompetenzen und stärken den Klassenverband. Gerade förderbedürftige Schüler und Schülerinnen erhalten dabei die Chance, außerhalb der Alltagsumgebung ihre Fähigkeiten zu erproben und Vertrauen in sich selbst und andere zu gewinnen.
Gut zu wissen: Die 32 Jugendherbergen im Rheinland, zusammengeschlossen im DJH Rheinland, bieten dafür zahlreiche Programme an. Für jede Schulstufe, für jeden Jahrgang. Als außerschulische Lern- und Bildungsorte verfolgen all unsere Häuser das Ziel, Schülerinnen und Schülern intensive und nachhaltige Lernerlebnisse für den Schulalltag zu ermöglichn – und Lehrkräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Interessiert? Informieren Sie sich gerne: www.jugendherberge.de/rheinland/klassenfahrten/
Klaus Zierer: Ich bin zwar kein übervorsichtiger Mensch, aber als ehemaliger Sportlehrer halte ich es für sehr wichtig, dass Sicherheitsfragen im Vorfeld geklärt sind. Wir sollten bei Klassenfahrten immer prüfen: Wo könnten Gefahren bestehen? Wie kann ich sie kontrollieren oder bestenfalls ganz vermeiden?
In der Vergangenheit gab es immer wieder Situationen, in denen Probleme auf Klassenfahrten auftraten. Manchmal lag das auch an mangelnder Planungskompetenz.
Klassenfahrt heißt nicht: als Lehrkraft abtauchen, sondern: hineingehen und Verantwortung übernehmen. Wenn das gesichert ist – durch gute Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern, klare Regeln zu Zeiten, Gruppeneinteilung etc. –, dann kann man gut loslegen.
Der nächste Schritt ist, die Klassenfahrt pädagogisch so zu gestalten, dass sie möglichst bildungswirksam ist. Ich empfehle, sich dabei an den „7 Cs“ zu orientieren. Zum Beispiel: Wie schaffe ich gute Beziehungsarbeit? Durch Mitbestimmung der Kinder, durch frühzeitige Einbindung oder durch Interessenabfragen. Auch die Kommunikation mit den Eltern ist wichtig, um eventuell vorhandene Ängste abzubauen.
Manche Eltern statten ihre Kinder mit kleinen Trackern aus, die den Standort messen. In solchen Fällen ist es wichtig, in der Kommunikation mit den Eltern klarzumachen: Eine Klassenfahrt bedeutet auch, ein Stück weit loszulassen und den Kindern Freiräume zuzugestehen. Gerade auf Klassenfahrten sind diese Freiräume für die Kinder – zur Mitbestimmung und zur aktiven Gestaltung – entscheidend. Sie tragen wesentlich zur Qualität und zur Wirksamkeit der Fahrt bei.
News4teachers: Nun sind Schülerinnen und Lehrkräfte auf einer Klassenfahrt für mehrere Tage an einem Ort zusammen. Wie sollten Lehrkräfte bei auftauchenden Problemen wie z.B. Konflikten zwischen den Schülerinnen, Rassismus oder Mobbing, reagieren?
Klaus Zierer: Da gilt es, wie es der Pädagoge Friedrich Copei gesagt hat, den „fruchtbaren Moment“ zu nutzen. Wir müssen uns bewusst machen, dass Erziehung und Unterricht immer ein Wagnis darstellen. Ich kann nie vollständig planen, was auf einer Klassenfahrt passieren wird. Ich weiß im Vorfeld nicht, ob alles so läuft, wie vorgesehen. Pädagogisches Handeln bedeutet immer auch, offen zu sein für Unvorhergesehenes – sowohl im positiven als auch im problematischen Sinn.
Vielleicht erlebe ich, dass ein Außenseiter in der Klasse plötzlich im Rahmen einer Freizeitaktivität Anerkennung erhält und dadurch enorm gestärkt wird. Solche Situationen sind unglaublich wertvoll. Es kann aber auch zu Konflikten kommen, in denen ich als Lehrkraft eingreifen muss. Der Vorteil einer Klassenfahrt ist: Ich habe dort die Zeit, mich wirklich darum zu kümmern.
In der Schule fehlt diese Zeit oft. Ein Konflikt kommt auf, aber ich muss gleichzeitig den Unterrichtsstoff durchbringen, weil in der nächsten Stunde eine Prüfung ansteht. Auf der Klassenfahrt habe ich den Freiraum, pädagogisch wirksam zu handeln und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Lösungen zu erarbeiten.
Pädagogik braucht Mut zum Risiko. Wir dürfen solche Situationen nicht scheuen, sondern müssen sie aufgreifen und konstruktiv nutzen. Wenn wir ausschließlich auf Sicherheit bedacht sind, dann geschieht zu wenig und dann fehlt die Reibungsfläche, die für pädagogisches Handeln notwendig ist. Reibung – sei sie positiv oder negativ – ist ein Teil unseres Kerngeschäfts.
„Wenn wir wegen dieser Überlastung beginnen, die pädagogisch wirksamsten Elemente aus dem Schulalltag zu streichen, dann verlieren wir genau das, was Schule eigentlich ausmacht“
News4teachers: Seit einigen Jahren gibt es die Diskussion, Klassenfahrten abzuschaffen. Manche führen an, Sie seien zu kostspielig, zeitintensiv und stellten eine zu große Verantwortung für die Lehrkräfte dar. Was halten Sie von dieser Debatte?
Klaus Zierer: Ich kann diese Diskussion durchaus nachvollziehen. In den letzten Jahren ist das Schulsystem mit immer mehr Aufgaben überfrachtet worden. Viele Lehrkräfte sagen zu Recht, dass sie auf ihre eigenen Ressourcen achten müssen. Und dann streichen sie aus dem System genau das heraus, was besonders aufwendig und kräftezehrend ist. Klassenfahrten gehören zweifellos dazu.
Wenn wir wegen dieser Überlastung beginnen, die pädagogisch wirksamsten Elemente aus dem Schulalltag zu streichen, dann verlieren wir genau das, was Schule eigentlich ausmacht. Mein Plädoyer ist daher: Geben wir den Lehrkräften wieder mehr Zeit für ihre eigentliche pädagogische Arbeit. Alles, was zusätzlich an sie herangetragen wird, muss reduziert werden. Gleichzeitig müssen wir Lehrkräfte bei der Planung und Durchführung von Klassenfahrten besser unterstützen.
Wenn das gelingt, dann steigt auch wieder die Bereitschaft, Klassenfahrten durchzuführen. Viele Lehrkräfte würden das gerne tun und haben Freude daran, aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
News4teachers: Einige führen an, dass man Klassenfahrten doch auch durch Projektwochen oder Exkursionen ersetzen könne. Welche Vorteile bieten Klassenfahrten im Gegensatz zu diesen Unterrichtsformen?
Klaus Zierer: Die Intensität ist eine völlig andere. Goethe sagte einmal: „Wirklich gebildet wird der Mensch nur auf Reisen.“ In diesem Satz steckt viel Wahres drin. Das beginnt schon bei der Planung: Sich gemeinsam auf den Weg machen, zu erleben, wie es ist, wenn man von zu Hause weg ist, mit der Klassengemeinschaft unterwegs zu sein. Die erste Nacht außerhalb, das gemeinsame Frühstück, das gemeinsame Abendessen, vielleicht eine Nachtwanderung. All das sind pädagogische Situationen, die emotional tief wirken.
Sie erzeugen Stimmungen, in denen echte Erfahrungen möglich werden. Erfahrungen, die ich in einer Projektwoche oder bei einer Exkursion, bei der ich jeden Abend nach Hause zurückkehre, so nicht machen kann. Exkursionen und Projektwochen sind gut, sie bringen Bewegung in den Schulalltag und eröffnen neue Perspektiven. Aber das gem