Glaubenskrieg um Künstliche Intelligenz im Unterricht: Verbannen – oder Pflicht?
AUGSBURG. Die Bildungsdebatte bekommt ein neues Streitthema: der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Schule. Während der Augsburger Schulpädagoge Prof. Klaus Zierer vor einem „Digitalisierungswahn“ warnt und ChatGPT am liebsten ganz aus den Klassenzimmern verbannen würde, fordern Digital-Experten wie Sascha Lobo das Gegenteil – eine schnelle KI-Pflicht sogar schon in der Grundschule. Dazwischen stehen Schülerinnen und Schüler sowie zunehmend auch Eltern, die längst Fakten geschaffen haben.
Engel oder Teufel? Illustration: Shutterstock
Der Augsburger Schulpädagoge Prof. Klaus Zierer setzt auf null Toleranz. „ChatGPT & Co. haben in der Schule keinen Platz“, meint der Ordinarius für Schulpädagogik der Universität Augsburg. Das Ziel von Schule sei, dass der Mensch das Denken lerne und sich bilde. „Es nützt ihm nichts, wenn der Rechner die an ihn gestellten Denkaufgaben in Sekundenschnelle erfüllt und ihm Stunden später außer der Lösung nichts mehr bleibt.“
Zierer verweist auf eine neue Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), wonach das Gehirn bei zu viel KI-Nutzung verkümmere. Die Technik könne zwar Hausaufgaben übernehmen, Aufsätze unnötig machen, Kopfrechnen sowie das Übersetzen in Fremdsprachen ersetzen. Aber: „Nicht nur, dass der Mensch so nichts mehr weiß und kann, er entwickelt seine Persönlichkeit auch nicht weiter“ – meint Zierer.
Zierer zählt zu den bekanntesten Erziehungswissenschaftlern in Deutschland. Er warnt schon lange vor zu einem „Digitalisierungswahn“ im Klassenraum. Nach Zierers Überzeugung ist gute Bildung hauptsächlich von den Lehrerinnen und Lehrern und weniger von modernen Geräten abhängig. Alle Schüler mit einem Tablet auszustatten, wie es einige Bundesländer planen, ist aus seiner Sicht nicht sinnvoll. „Eine 1:1-Tabletausstattung ist pädagogischer Unsinn“, befindet er. Verschiedene Staaten hätten dies auch bereits erkannt.
“In China gehört seit 2018 künstliche Intelligenz zum Curriculum der Schulen”
Klingt konsequent – aber auch weltfremd. Denn während Zierer den Einsatz von KI in der Schule grundsätzlich infrage stellt, wird sie vom Gros der Schülerinnen und Schüler längst für schulische Zwecke genutzt.
Das aktuelle ifo-Bildungsbarometer zeichnet ein deutliches Bild: Während die Hälfte der Erwachsenen KI nie für berufliche Zwecke nutzt (50 Prozent) und fast die Hälfte (44 Prozent) auch privat nie auf KI zurückgreift, ist das bei Jugendlichen mittlerweile die Ausnahme. Nur knapp ein Fünftel der Jugendlichen nutzt KI nie (18 bzw. 19 Prozent); über drei Viertel der Jugendlichen verwenden KI zumindest gelegentlich. Besonders relevant für die Schule: Die Hälfte der Jugendlichen greift mehrmals wöchentlich oder sogar täglich auf KI oder Chatbots für schulische beziehungsweise berufliche Zwecke zu – etwa als Hilfe bei Hausaufgaben oder zur Informationssuche. Auch für private Zwecke ist KI bei Jugendlichen etabliert (46 Prozent nutzen sie mehrmals wöchentlich oder täglich). Mit anderen Worten: Die Realität in den Kinder- und Jugendzimmern ist der Forderung Zierers nach Enthaltsamkeit bereits enteilt.
Das schlägt sich in den Haltungen der Schülerinnen und Schüler nieder. Gefragt, ob der Umgang mit KI und Chatbots im Unterricht gelehrt werden sollte, spricht sich eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen dafür aus – 66 Prozent. Damit artikuliert die Schülergeneration, die KI praktisch nutzt, auch pädagogischen Bedarf: Lernen, wie man die Werkzeuge sinnvoll, sicher und fair einsetzt.
Dass das nötig ist, meint auch der Spiegel-Kolumnist und Digitalexperte Sascha Lobo. Er fordert – in krassem Widerspruch zu Zierer – eine KI-Pflicht in der Schule, sogar schon in der Grundschule („Und zwar schnell!“). Denn darauf, dass die heutigen Kinder lernen, mit der Technologie umzugehen, komme es an. „Und das gilt nicht etwa in der fernen Zukunft, sondern ab genau jetzt. Die Gegenprobe mit technologisch etwas fortschrittlicher aufgestellten Gesellschaften: In China gehört seit 2018 künstliche Intelligenz zum Curriculum der Schulen. Und just in ein paar Tagen, nämlich ab 1. September 2025, ist KI verpflichtender Teil der Schulbildung – in Grundschulen“, schreibt Lobo im Spiegel.
Doch dabei geht es ihm zufolge nicht nur darum, den Umgang mit KI zu lernen – sondern auch um das Lernen selbst, das von Künstlicher Intelligenz massiv profitiere. „Im Mai ist in der Wissenschaftszeitschrift »Nature« eine Metastudie erschienen. Sie hat 51 Studien zwischen Ende 2022 und Anfang 2025 ausgewertet, was den Einfluss von ChatGPT auf (Schul-)Bildung angeht. Dabei ging es vor allem um Lernleistung, Lernperzeption und die sogenannten höheren Denkfähigkeiten, die in der Pädagogik beschreiben, wie man Gelerntes nicht nur schlicht auswendig aufsagt, sondern in einen eigenen Denkprozess analytisch, bewertend und kreativ einbauen kann“, berichtet Lobo. Und: „Die Ergebnisse erscheinen recht eindeutig, vor allem bei der Lernleistung, zum guten Teil aber auch bei der Lernwahrnehmung und höheren Denkfähigkeiten ist eine Verbesserung zu erkennen.“
Eine andere Metaanalyse zu KI in der Bildung, veröffentlicht im März im Journal »Higher Education Studies«, komme sogar insgesamt auf einen erheblichen positiven Gesamteffekt. Lobo: „Um das auch in der Bildungsforschung einzuordnen: Dort gelten Effekte um 0,4 als »robust«, also wissenschaftlich tragfähig. Hedges’ g von 0,8 beschreibt einen großen Effekt, etwas Außergewöhnliches, das man sich bei einigermaßen sinnvollem Experimentaufbau in den Lebenslauf schreiben oder damit auf Wissenschaftskongressen angeben kann. Die Effektstärke von KI-Chatbots beziehungsweise generativer KI hat laut Metaanalyse positive Effekte von bis zu Hedges’ g von 1,02 erzielen können.“
Offensichtlich sehen auch immer mehr Eltern in Deutschland, dass Schule ohne KI kaum auskommen wird: 46 Prozent der Erwachsenen befürworten laut ifo-Bildungsbarometer mittlerweile, dass der Umgang mit KI und Chatbots in der Schule gelehrt wird; 40 Prozent sind dagegen. Im Vergleich zum ifo-Bildungsbarometer 2023 ist das ein deutlicher Meinungsumschwung – damals lag die Zustimmung erst bei 37 Prozent, mehr als die Hälfte (54 Prozent) war dagegen.
Auch bei der Frage, wie im KI-Zeitalter Leistung überhaupt noch zu prüfen ist, macht sich Realismus breit. Die Hälfte der Erwachsenen (50 Prozent) spricht sich mittlerweile dafür aus, Hausarbeiten durch mündliche oder schriftliche Prüfungen ohne Internetzugang zu ersetzen – ein Eingeständnis, dass klassische Formen in Zeiten von ChatGPT schwer kontrollierbar sind. Und für den systematischen Einsatz intelligenter tutorieller Lernsysteme, also KI-gestützter Plattformen zur individuellen Förderung, votiert inzwischen eine Mehrheit von 57 Prozent; nur noch 26 Prozent sind dagegen. News4teachers / mit Material der dpa
„KI macht das Leben als Schüler zur Hölle“ – Gymnasiast, der ehrlich lernen will, sieht sich krass benachteiligt
Der Beitrag Glaubenskrieg um Künstliche Intelligenz im Unterricht: Verbannen – oder Pflicht? erschien zuerst auf News4teachers.
Schule
via News4teachers https://www.news4teachers.de/
September 11, 2025 at 06:42AM