„Spicken war gestern – heute scannt KI die Klausur“ oder: Warum Schülerberichte so wichtig sind!
https://unterrichten.digital/2025/08/22/ki-unterricht-schuler-bericht/
Ich bin aus einem ganz einfachen Grund dankbar für „Insider-Berichte“ von Schülerinnen und Schülern, wie z.B. den gerade beim Deutschen Schulportal erschienenen Beitrag „Eine Schülerin packt aus“:
Weil sie uns einen unverstellten Blick auf die aktuelle Lebens- und Lernwelt von Jugendlichen ermöglichen – in diesem Fall persönlich geschildert von der 17‑jährigen A. Zöller aus einem süddeutschen Gymnasium, die eindrücklich berichtet, wie ChatGPT längst zur heimlichen „digitalen Spickhilfe“ in (klassischen) Klausuren und im Unterricht geworden ist.
Handy raus, Foto machen, Frage an die KI – und die Note ist scheinbar gesichert. Die Lehrkräfte sind oft ahnungslos, während (generative) KI für die Lernenden längst zur selbstverständlichen Begleitung im Schulalltag geworden ist. Und das ist natürlich kein Einzelfall aus Süddeutschland, sondern der Normalfall in allen Bildungsinstitutionen.
Diese und andere Beiträge zeigen, wie selbstverständlich KI längst Teil von Schule und Lernprozessen ist – und wie weit unsere schulischen Diskurse manchmal hinterherhinken: „Während ein Großteil unserer Lehrkräfte noch in der Einarbeitungsphase steckt, unsicher ist, wie man mit KI pädagogisch sinnvoll umgeht, oder diese bereits als persönlichen „Endgegner“ auserkoren hat, gehört künstliche Intelligenz für uns längst dazu.“
Schülerperspektive und pädagogische Sicht
In ihrem Text macht Zöller deutlich: Für viele Jugendliche ist KI ein Werkzeug für mehr Effizienz in einem Input-Output-orientierten Schulsystem. Eine Art „digitale Spickhilfe“, die Zeit spart, Aufgaben löst und scheinbar bessere Noten ermöglicht – auch, weil das Schulsystem die Kinder und Jugendlichen genau darauf trainiert. Pädagogische oder ethische Fragen treten dabei natürlich in den Hintergrund. Auch die eigene Erfahrung zeigt: Im Zweifel wird eben die nächstbeste kostenlose Lösung – und das bedeutet: ChatGPT aus den USA oder DeepSeek aus China – genutzt.
Diese Schilderung trifft unmittelbar das, was neben vielen engagierten Lehrkräften auch ich in meinem Blog, in Texten und Fortbildungen immer wieder betone:
KI ist nicht nur ein Tool, die Technologie kann (vorsichtig anthropomorphisierend formuliert) als Sparringspartner, Lernbegleitung und Plattform für Kreativität und Reflexion dienen.
Gleichzeitig ist unreflektierte KI-Nutzung in Lernprozessen aber eben auch mit Risiken wie Deskilling, falscher Abhängigkeit und der Gefahr, dass Lernende für Verstehens-, Sinnbildungs- und Denkprozesse wichtige Schritte zunehmend an Technologien auslagern und das Vertrauen in eigene Fähigkeiten verlieren (automation bias), verbunden.
Für Lehrkräfte entsteht die Herausforderung – ich sehe es eher als Chance und Motivation -, zwischen sinnvoller Nutzung und Übernutzung zu unterscheiden – und Lernende für einen reflektierten Umgang zu befähigen.
Implikationen für Schule und Unterricht
Schülerinnen und Schüler haben längst Wege gefunden, KI-Tools unauffällig in ihre Lern- und Prüfungssituationen einzubauen. Das bedeutet ganz praktisch: Wer KI allein aus der Schule verbannen möchte, wird den Anschluss verlieren.
Der Artikel von A. Zöller zeigt eindrücklich, dass wir dringend eine umfassende Diskussion über konstruktive „KI-Didaktik“ benötigen – nicht als Reaktion auf „Betrug“, sondern als Chance, Lernprozesse neu zu planen und sehr genau zu unterscheiden, wann wir mit oder ohne KI-Technologie und was wir eigentlich noch trotz KI lernen wollen und müssen.
Daraus ergeben sich – hier nur in aller Kürze und gar nicht neu – mehrere zentrale Handlungsfelder:
Transparenz schaffen: Wir müssen offen über KI sprechen – nicht erst, wenn es um Betrugsfälle in Klausuren geht, sondern regelmäßig im Unterricht. Nur wenn Lernende ihre eigenen Erfahrungen, Strategien und Unsicherheiten thematisieren können, entsteht ein realistisches Bild.
Didaktische Integration statt Abwehrhaltung: Ein Unterricht, der KI vollständig ignoriert, wird an der Lebenswelt der Lernenden vorbeigehen. Stattdessen brauchen wir Szenarien, in denen KI gezielt und bewusst eingesetzt wird – etwa als Feedback-Unterstützung für Texte, als Ideensammler in Projekten oder als Diskussionsanlass, wenn es um „Wahrheit“, Quellenkritik und Urheberrechte geht.
Reflexion und kritisches Denken fördern: Wenn KI schnelle Antworten liefert, heißt das noch nicht, dass Schülerinnen und Schüler diese kritisch prüfen können. Genau hier liegt unsere pädagogische Verantwortung: Lernende darin zu stärken, KI-Antworten zu hinterfragen, eigene Positionen zu entwickeln und nicht in eine bequeme Abhängigkeit zu geraten.
Bewertung und Prüfungsformate überdenken: Wenn die KI schon während der Klausur dabei ist, müssen wir prüfen, welche Kompetenzen wir eigentlich bewerten wollen. Vielleicht geht es weniger um die bloße Reproduktion von Wissen – und mehr um die Fähigkeit, Probleme zu strukturieren, kritisch zu reflektieren und Ergebnisse in einen Kontext einzubetten. Die ersten Beispiele für Klausuren mit KI-Unterstützung und KI-freiem Teil bieten dafür Anhaltspunkte.
Professionalisierung der Lehrkräfte: Lehrkräfte brauchen selbst Sicherheit im Umgang mit KI. Nur wer eigene Erfahrungen gesammelt hat, kann Lernprozesse sinnvoll steuern. Fortbildungen, Austauschformate und Erprobung im Kollegium sind dafür entscheidend.
Und zum Schluss…
Die Stimme der Schülerin aus Süddeutschland macht sichtbar, wie groß die Lücke zwischen schulischer Realität und offizieller Unterrichtspraxis derzeit noch ist. Während Schülerinnen und Schüler längst pragmatisch mit KI umgehen, suchen wir Lehrkräfte oft noch nach dem „richtigen“ Umgang – oder hoffen, dass die Entwicklung an uns vorbeigeht (ein Scheuklappen-Denken, das ich im Rahmen von Fortbildungen in allen Schulformen doch noch erstaunlich oft erlebe).
Gerade deshalb ist es so wichtig, die Diskussion aktiv zu führen. Wir sollten die Nutzung von KI im Unterricht nicht als Bedrohung, sondern als Gestaltungsauftrag begreifen:
Die vielbeschworene „neue Lernkultur“ bedeutet zuallererst, mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen, ihre Anliegen und auch den naheliegenden Reiz nach vollstmöglicher KI-Nutzung ernstzunehmen und dabei unsere tradierte Aufgaben- Prüfungs- und damit Lernkultur permanent zu hinterfragen und auf Sinn und Unsinn zu überprüfen.
Das funktioniert nur, wenn wir regelmäßig (generative) KI in unseren Fächern verwenden, Beispiele zeigen, zur Nutzung anregen und anschließend darüber ins Gespräch kommen. Wie das funktionieren kann und welche Diskussionen daraus entstehen können, habe ich im Beitrag für das Magazin PlanBD versucht am Beispiel des Geschichtsunterrichts zusammenzufassen: KI als „false buddy“, Tutor und Sparringspartner – Praxisbeispiel Geschichtsunterricht“.
Handlungsleitend sollten dabei die „4A-Prinzipien“ (Aufklären, Ausprobieren, Akzeptieren, Aktiv gestalten) nach Prof. Doris Weßels sein – KI-Detektoren sind der falsche Weg!
Schule
via Unterrichten Digital https://unterrichten.digital
August 23, 2025 at 11:30AM