Bildungsmonitor: Auf Migration nicht eingestellt – Deutschlands Schulen rutschen weiter ab
KÖLN. Die Bilanz ist ernüchternd: Deutschlands Schulen verlieren weiter an Qualität. Das zeigt der neue Bildungsmonitor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für 2025. Erste Ergebnisse wurden vorab der WELT AM SONNTAG und dem ARD-Hauptstadtstudio bekannt – die vollständige Studie soll erst in zwei Wochen veröffentlicht werden. „Die Lage an Deutschlands Schulen bleibt schlecht. Sie hat sich gegenüber 2024 weiter leicht verschlechtert“, konstatiert Axel Plünnecke, der am IW das Cluster Bildung, Innovation, Migration leitet.
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Die Zahlen sprechen für sich – und sie wirken dramatisch: Der Bildungsmonitor setzt beim ersten Erscheinungsjahr 2013 den Wert 100 als Referenz. Und nun liegt der Wert für Integration und Bildungschancen nun 43,7 Punkte niedriger. Bei der Schulqualität beträgt der Verlust 28,2 Punkte, bei der von den Kindern mitgebrachten Bildungsarmut 26 Punkte. Besonders gravierend ist die Lage bei Kindern aus Flüchtlingsfamilien, die das Schulsystem vielerorts vor kaum lösbare Aufgaben stellt.
Doch das ist nicht alles. Laut Plünnecke haben die Schulen auch die Folgen der Pandemie nicht ausreichend verarbeitet: Lernrückstände, Motivationsprobleme und eine wachsende Überforderung im Umgang mit digitalen Reizen. „Die permanente Nutzung von Smartphones führt oft zu Konzentrationsproblemen. Kinder können Erlerntes nicht ausreichend verarbeiten“, so der Bildungsforscher im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Am stärksten betroffen seien Kinder aus bildungsfernen Schichten – sie drohten endgültig abgehängt zu werden.
Plünnecke: „2015 war die Wasserscheide“
Der Bildungsökonom beschreibt eine klare Trendwende: „Bis 2015 sind die Schulen besser geworden, danach schlechter.“ Der Grund: die hohe Zuwanderung von Flüchtlingskindern, auf die das Schulsystem nicht vorbereitet war. „Mehr Kinder sind an sich ein Gewinn für das Land“, erklärt Plünnecke gegenüber der Welt am Sonntag. „Aber 2015 hat das Schulsystem überfordert, man fand keine schnellen Antworten auf die Herausforderungen der gestiegenen Fluchtmigration.“
Seine Diagnose ist eindeutig: Noch immer reagiere die Bildungspolitik zu spät. „Heute haben die Kinder in 30 bis 40 Prozent unserer Schulen große Defizite. Viele erreichen etwa beim Lesen die Mindeststandards nicht.“ Abhilfe sieht Plünnecke in verbindlichen Sprachtests, in einer massiven Ausweitung von Sprachförderung bereits in den Kitas und in Programmen, die die „digitale Mündigkeit“ stärken. Zudem brauche es eine deutliche Ausweitung des Startchancenprogramms, das sozial benachteiligte Schulen stützen soll.
Ministerin Prien verweist auf Koalitionsvertrag – Union fordert Sanktionen
Die Politik reagierte prompt auf die alarmierenden Ergebnisse. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) verweist auf Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben sind: „Wir haben eine flächendeckende, verpflichtende Sprach- und Entwicklungsdiagnostik für vierjährige Kinder vereinbart“, sagte sie der Welt am Sonntag. Nur wer Förderbedarf früh erkenne, könne gezielt helfen. „Eltern spielen dabei eine Schlüsselrolle.“ Es gehe darum, Chancen zu eröffnen, nicht zu bestrafen. Doch Prien fügte auch an: „Wenn Kinder Hilfe brauchen und Unterstützung dauerhaft ausbleibt, müssen wir gemeinsam Lösungen finden.“
Ihre Parteikollegin Anne König, bildungspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, geht weiter. Sie regte an, „im Zweifel auch über wirksame Sanktionen nachzudenken“. Voraussetzung wäre allerdings, dass allen Kindern eine bedarfsgerechte Sprachförderung angeboten wird – was nachweislich nicht der Fall ist, wie unlängst erst die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK feststellte (News4teachers berichtete).
SPD, Grüne, Linke – unterschiedliche Akzente, gleiche Sorge
Auch die übrigen Parteien meldeten sich zu Wort. SPD-Bildungspolitikerin Jasmina Hostert unterstützt die Forderung nach verbindlichen Sprachtests. Sie könnten helfen, „individuelle Förderbedarfe frühzeitig festzustellen“. Fördermaßnahmen müssten dann allerdings auch verpflichtend sein.
Die Linke hingegen setzt auf eine Investitionsoffensive in frühkindliche Bildung. Nicole Gohlke sagte: „Es braucht eine große Ausbildungsoffensive und mehr Investitionen in Bildung, statt Erzieherinnen noch mehr Aufgaben aufzubürden.“
Die Grünen betonen die Notwendigkeit bundesweiter Standards. „Sprache ist der Schlüssel zur Welt“, erklärte die bildungspolitische Sprecherin Anja Reinalter. Verbindliche Tests seien sinnvoll, Sanktionen für Eltern jedoch kontraproduktiv: „Es geht darum, Eltern mitzunehmen, zu überzeugen und gemeinsam das Beste für ihre Kinder zu erreichen.“
Die Wissenschaft verweist auf die Bedeutung frühkindlicher Bildung. Prof. Havva Engin von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg stellte klar: „Entscheidend für Bildungserfolg ist nicht erst die Schule, sondern die Zeit davor. Die Bildungskarriere eines Kindes wird im Kindergarten gemacht. Versäumte Förderung verursacht enorme Folgekosten. Prävention ist günstiger als lebenslange Reparatur.“
Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), zieht angesichts des Personalmangels in den Schulen ein düsteres Fazit: „Wir können die aktuellen Schülerzahlen mit originär ausgebildeten Lehrkräften schon gar nicht mehr abdecken. Heute tragen Kinder oft die elterlichen Probleme in die Schule. Und die Lehrkraft soll’s richten.“ Seine Forderungen: kleinere Klassen, bessere Ausbildung von Quereinsteigern und mehr gesellschaftliche Unterstützung. „Schule kann aber nicht alles richten. Eltern, Kommunen und Vereine müssen ihren Beitrag leisten. Es braucht ein gemeinsames Verständnis von Bildung als Lebenschance.“ News4teachers / mit Material der dpa
IGLU-Sonderauswertung: Viele Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, erhalten in der Schule keine besondere Leseförderung
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August 24, 2025 at 02:04PM