Freude an Postkarten: „Junge Leute wissen teilweise gar nicht, wie das funktioniert“
Frau Peters, Sie haben im vergangenen Jahr ein Buch geschrieben. Auf Postkarten hingegen muss man sich kurz halten. Können Sie das?
Peters: Nicht so gut. Ich krickele immer die ganze Postkarte voll und schreibe unten am Rand um das Adressfeld herum bis zur Briefmarke noch liebe Grüße hin. Ich fange immer an und denke, was soll ich denn schreiben – und dann ist die Postkarte voll.
Dehner: Wir versuchen allerdings auch, die Postkarten zusammen zu schreiben. Einer fängt an, der andere schreibt zu Ende. Das ist auch nicht gut für den Platzhaushalt.
Ergänzen Sie sich, oder schreibt jeder seinen Text drauf?
Peters: Jeder schreibt seinen Text. Aus den Ferien schreibt man ja auch meistens wirkliche Belanglosigkeiten, die einfach nur zeigen sollen, dass man sich an den anderen erinnert und dass auch er Teil dieser Reise sein soll, indem er einen Gegenstand bekommt, den man selbst an diesem anderen Ort in der Hand gehabt hat.
Dehner: Aber man versucht ja nicht, Belanglosigkeiten zu schreiben, sondern Wertvolles, nur das so kurz wie möglich.
Caroline Peters und Frank Dehner bei einer Preisverleihung in Wien im Jahr 2022Picture Alliance
Da wir gerade sprechen, während Sie im Urlaub sind: Schreiben Sie von dort Postkarten?
Peters: Die letzten Jahre haben wir oft unsere eigenen Postkarten in den Urlaub mitgenommen, weil es an den meisten touristischen Orten nur diese kitschigen Karten gab, die wir nicht mehr verschicken wollten. Aber das ändert sich gerade, stellen wir in diesem Sommer fest. Früher hatten wir diesen Wettbewerb mit Freunden oder Geschwistern, wer die hässlichste Karte gefunden hat.
Der wird dann ja jetzt schwieriger, wenn sich Ihre Beobachtung verallgemeinern lässt.
Peters: Ich hoffe das. Wir hatten in der Toskana mal eine Postkarte gefunden in einer Gegend, in der es besonders viel Wildschweinwurst gab: ausgestopfte Wildschweine in Kostümen, die an einem Esstisch saßen und Wurst aßen. Es war so irre.
Ich bekomme so gut wie keine Postkarten mehr aus dem Urlaub . . .
Dehner: In unserem Laden stellen wir fest: Gerade ganz junge Leute wissen teilweise gar nicht, wie das Medium funktioniert. Denen muss man erst mal erklären, wo die Adresse hinkommt. Und dann geht’s los, denn sie haben überhaupt von niemanden, den sie kennen, die Postadresse, weil sie nie an irgendwen schreiben. Handschrift ist auch ein Thema, die schreiben eher in Druckbuchstaben.
Peters: Und gleichzeitig erzählen ganz junge Kunden oft, dass sie diese Zeitlosigkeit als totale Befreiung empfinden. Es gibt keine immediate response, wie bei einer Whatsapp-Nachricht, bei der man immer glaubt, auf alles reagieren zu müssen. Du schickst es ab, und dann musst du einfach abwarten. Vielleicht kommt die Karte in drei Tagen an, vielleicht in acht, vielleicht in 18 Tagen. Man weiß es einfach nicht.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Wer kauft bei Ihnen Postkarten?
Dehner: Wir haben Kunden von fünf bis 85 Jahre. Es gibt die, die für sich sammeln, die sich einfach schöne Karten in einen Karton packen für Anlässe, für irgendwann. Was ich neu festgestellt habe, ist, dass es in diesem Jahr öfter mal Männer gab, die entdeckt haben, dass sie ihrer Frau oder Freunden eine große Freude bereiten, wenn sie ihnen eine Karte bei uns aussuchen und sie verschicken oder übergeben. Sie drücken damit eine besondere Form der Zuneigung aus. Die werden zu Stammkunden und kommen immer wieder, um ein, zwei Karten oder mal eine Serie zu kaufen. Das sind allerdings Kunden aus der Nachbarschaft. Und dann wir haben natürlich auch viele Touristen.
Die Ihre Karten dann von Wien aus in die weite Welt verschicken – schöne Vorstellung.
Peters: Wir haben festgestellt, dass das Schwierigste beim Verschicken der Postkarte Briefmarke und der Briefkasten sind. Sich da zu organisieren, ist eine zusätzliche Hürde. Deswegen kann man bei uns im Laden auch die Briefmarken kaufen und sie in einen Kasten stecken. Wir leeren den dann am Abend und geben die Postkarten in den richtigen Briefkasten.
Sie wissen tatsächlich, was man auf eine Postkarte nach Korea kleben muss?
Dehner: Ja, das wissen wir. Auch wenn es sich ständig ändert.
Werden Postkarten heute nicht meistens verschenkt?
Peters: Ja, das ist auch unsere Erfahrung. Sie werden einem Geschenk beigelegt, oder die Postkarten an sich werden zum Beispiel zum Umzug oder zu Feiertagen verschenkt. Aber tatsächlich schreiben doch noch relativ viele Leute aus dem Urlaub.
Sie beauftragen Fotografen für die Postkarten. Haben die Künstler freie Wahl, welche Motive sie auswählen?
Peters: Ja, aber wir beraten. Meistens sind es Leute, die wir aus dem Theater-, Mode- und Porträtbereich kennen und die ein Reservoir an Fotos haben.
Dehner: Wir stellen dann gemeinsam eine Auswahl zusammen. Die zwölf Bilder einer Serie sollen immer auch eine gemeinsame Geschichte erzählen oder zumindest miteinander korrespondieren, aber auch als einzelne Karte funktionieren. Unsere kuratorische Tätigkeit ist wichtig, weil wir nach sieben Jahren die Erfahrung haben und wissen, welche Motive gut laufen und welche nicht als Postkarte taugen.
Für die Postkarten werden Fotografen beauftragt und jeweils Serien von zwölf miteinander korrespondierenden Motiven ausgewählt.Frank Dehner
Dehner: Für mich ist bei der Auswahl schlagend, dass mir sofort der erste Satz einfällt, den ich auf das Bild bezogen schreiben könnte. Das sind entweder situative Momente oder symbolische. Und ich mag schöne Dinge aus der Umgebung. Auch ich bin ja einer der Fotografen und versuche, Wien an Details erkennbar zu machen. Wiener sagen jetzt manchmal: Seitdem ich diese Postkarte von Ihnen gesehen habe, gucke ich ganz anders auf meine Umgebung.
Über so eine Rückmeldung freut man sich, oder?
Dehner: Ja, das sind 100 Punkte.
Peters: Und das ist auch unsere Art, uns als Neu-Wiener an die Stadt und die Bürger anzunähern, was mir durch das Burgtheater schon ganz gut gelungen ist. Wir haben aber natürlich einen anderen Blick auf Wien als jemand, der dort geboren und aufgewachsen ist. Unser Blick ist durch die Bank positiver als der der richtigen Wiener.
Im 5. Bezirk Wiens befindet sich das Postkartengeschäft der Schauspieler Caroline Peters und Frank Dehner, die in Wien und Berlin leben.Frank Dehner
Dehner: Wir als Zugezogene sind diejenigen, die den Wienern erzählen, dass die Postkarte von dort kommt. Sie wurde am 1. Oktober 1869 damals noch in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn postamtlich eingeführt, als erstes Land weltweit.
Welche weiteren Motive sind Kassenschlager?
Peters: Aussagen, Dinge oder Kurioses, die man im Alltag findet, wenn man mal nicht auf sein Handy schaut, sondern rechts und links vorbei. Der absolute Renner ist das Motiv eines Kaugummiautomaten, auf den jemand mit Lippenstift „Du bist eh schon so sias“ geschrieben hat, also Wienerisch für „Du bist eh schon so süß“.
Dehner: Diese Karte verkauft sich so wahnsinnig gut, dass wir sie ein zweites Mal aufgelegt haben. Aber auch Sprüche wie „Immer ist jetzt“ zum Beispiel, oder „Sometimes I think“, das war ein Ausschnitt eines Kunstwerks, das ich mal fotografiert habe. Spruchkarten kommen bei uns nur vor, wo wir sie sehen. Wir drucken keine Sprüche.
Bekommen Sie von Freunden besonders viele Karten geschickt, oder traut sich das keiner mehr, seit Sie Postkartenprofis sind?
Peters: Als wir den Laden neu hatten, haben sich tatsächlich sehr viele animiert gefühlt, uns Postkarten zu schicken. Das war diese Idee: Ah, wenn wir denen eine Freude machen wollen, dann schicken wir eine Postkarte.
Da Sie ja ein Faible für das Thema Postkarte haben: Haben Sie alte Postkarten aufgehoben, die Sie vor ein paar Jahrzehnten von Freunden aus dem Urlaub geschickt bekommen haben? Oder haben Sie die alle irgendwann vernichtet?
Peters: Ich habe sehr viel davon aufgehoben und dann bei verschiedensten Umzügen verloren, sodass praktisch nichts mehr davon übrig ist. Aber als Kind habe ich Postkarten gesammelt. Meine Eltern sind oft alleine ohne uns Kinder verreist. Und meine Mutter hat dann immer Postkarten geschickt. Die hatte ich gelocht und ein Geschenkband durchgezogen, sodass ich wie so ein Heft hatte und mir anschauen konnte, wo die überall gewesen waren. Heute haben wir so ein Board, wo wir Postkarten und Fotos hinstellen, aber ewig bleiben die nicht erhalten bei uns. Aber ich finde es immer schön bei einem Umzug: Man hat ein Buch in der Hand, und plötzlich fliegt eine Postkarte raus, die man da mal reingesteckt hatte. Das ist dann eine Nachricht aus der Vergangenheit, wie so eine Flaschenpost. Das ist manchmal dann ein tolles Erlebnis.
Dehner: Zu den Anlasskarten, zum Beispiel zum Geburtstag, hat man ja früher den Geldschein rausgenommen und sich gar nicht durchgelesen, was da alles an Informationen stand: Was der Onkel macht, wo sie auf Reisen waren und so weiter. Ich habe die Karten weggeschmissen, weil ich dachte, der Anlass ist ja vorbei. Ich glaube, wir sind beide Pioniere und versuchen immer, etwas Neues zu entdecken, nach vorne zu gucken. Deshalb sind wir nicht der Typ Archivar.
Sie leben ja miteinander und haben mutmaßlich ausreichend Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Kommunizieren Sie trotzdem auch per Kunstkarte miteinander?
Peters: Ja, aber da wird dann nicht viel Text draufgeschrieben. Da gibt es dann einen Satz oder einen Gruß und dann legt man sich die Karte gegenseitig an einen Ort, wo der andere sie zufällig findet, so ein bisschen wie Ostereier, nur nicht an Ostern.
Dehner: Wir haben uns auch schon einen Adventskalender gemacht, aus Postkarten und aus Liebesbriefen.
via FAZ.NET
August 31, 2025 at 06:28PM