Die Meinungsfreiheit, die sie meinen
https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2025/07/04/wie-die-afd-und-personen-in-ihrem-vorfeld-meinungsfreiheit-und-volksverhetzung-umdeuten/
Als ein verurteilter Volksverhetzer in Haft muss, springt Björn Höcke ihm zur Seite. Der Verurteilte ist der rechtsradikale Youtuber Aron Pielka, besser bekannt unter dem Pseudonym Shlomo Finkelstein.
Zu einem Bild von Shlomo, das Höcke auf Facebook postet, schreibt er nicht das Wort „Volksverhetzung“, sondern „Meinungsfreiheit“. Höcke ist selbst wegen mutmaßlicher Volksverhetzung angeklagt. Er ist es auch, der den Straftatbestand der Volksverhetzung abschaffen oder zumindest einschränken wollte.
Damit ist er nicht alleine.
Der Fall „Shlomo“ ist nur ein Beispiel dafür, wie Vertreter der AfD und Personen in ihrem Umfeld die Meinungsfreiheit umdeuten. Manche verdrehen dabei Tatsachen, andere greifen das Justizsystem an. Das offenkundige Ziel: Die Grenzen des Sagbaren zu verschieben – und wenn es nach Einzelnen geht, sogar die Grenzen des Gesetzes.
Wie sehen die Strategien dahinter aus und was wäre, wenn sie erfolgreich sind?
Strategie Eins: Volksverhetzung als Meinungsfreiheit abtun
Ende 2020 wurde der Youtuber Aron Pielka alias „Shlomo Finkelstein“ vom Amtsgericht Köln unter anderem wegen Volksverhetzung auf Bewährung verurteilt, weil er antisemitische Darstellungen veröffentlicht und rassistische Lieder und islamfeindliche Koranverbrennungen abgespielt hat. Abgesehen davon war er in den inoffiziellen EU-Wahlkampf für die AfD verwickelt. Im August 2024 wurde er wegen Verstößen gegen seine Auflagen verhaftet.
In der AfD feiert man ihn als Helden. Da gibt es nicht nur Höckes Zuspruch, auf Landesebene werden von Lena Kotré, einer Abgeordneten in Brandenburg, „Free Shlomo“-T-Shirts verlost, auf Bundesebene tönt der Abgeordnete Matthias Helferich, Finkelstein könne jederzeit bei ihm im Bundestag auftreten und auf europäischer Ebene will Abgeordneter Alexander Jungbluth „den Fall auf die Tagesordnung der Plenarsitzung“ setzen.
Die Delikte des Youtubers werden von Teilen der AfD als Volksverhetzung in Anführungszeichen bezeichnet, seine Verurteilung als „Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Die AfD Bundespartei schrieb mit Bezug auf „Shlomo“: „Die Zeiten, in denen das Äußern einer freien Meinung dazu führt, dass man hinter Gittern landet, müssen endlich vorbei sein“.
Ali B. Norouzi, Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltverein, korrigiert diese Einschätzung: „Er hat gegen Bewährungsauflagen verstoßen und damit das Vertrauen widerlegt, auf dem die Bewährungsstrafe beruhte. Deshalb ist er verhaftet worden. Und seine Äußerungen waren nach Bewertung des Gerichts Volksverhetzung und nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Deshalb ist er bestraft worden“, so der Jurist im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck.
Der X-Post der AfD verschwand im Laufe dieser Recherche, auf eine Anfrage antwortete die Bundespartei nicht. Auch alle weiteren Vertreterinnen und Vertreter der Partei, die CORRECTIV.Faktencheck zu dieser Recherche kontaktiert hatte, antworteten nicht.
Wo hört Meinungsfreiheit auf und wo fängt das Strafrecht an?
Die AfD zeichnet offenbar ihr eigenes Bild der Meinungsfreiheit – doch was umfasst die tatsächlich?
Die Meinungsfreiheit ist im Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt, da heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…)“. Dann jedoch steht im nächsten Absatz: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (…)”. So kommen strafrelevante Paragrafen wie Volksverhetzung (Paragraf 130 StGB) oder auch das Verbot verfassungswidriger Kennzeichen ins Spiel (Paragraf 86a StGB).
Was steht im Paragrafen 130, was im Paragrafen 86a?
Paragraf 130 im Strafgesetzbuch regelt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Dabei geht es um verschiedene Formen der Hasskriminalität, etwa darum, „gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen“ aufzufordern. Es geht auch darum, die Menschenwürde anderer anzugreifen oder Handlungen der Nationalsozialisten zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen. Der Strafrahmen reicht je nach konkretem Delikt von drei Monaten bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen.
Paragraf 86a betrifft das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. Bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe stehen darauf, wenn jemand etwa Abzeichen oder Parolen von verfassungswidrigen Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder verwendet. Darunter fällt zum Beispiel das Hakenkreuz, das SS-Totenkopfsymbol oder die Grußformel „Sieg Heil“ – allerdings spielt in der Frage der Strafbarkeit auch der Kontext, in dem ein Symbol geteilt wird, eine Rolle, zum Beispiel, ob die Verwendung eines Symbols der Aufklärung dient.
Das heißt: Schon im Grundgesetz steht, dass die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos ist. Auf der anderen Seite schützt die Meinungsfreiheit aber jene, die eine strittige Aussage machen.
Wenn nun die AfD auf X postet, der Paragraf zur Volksverhetzung sei „schwammig und längst ein beliebtes Werkzeug politisierter Strafverfolger“, dann ist das nach Ansicht von Strafrechtler Norouzi eine „plakative Zuspitzung“, die die bisherige Rechtssprechung – auch zugusten der AfD – ausblende. Er verweist da etwa auf den Fall Gauland: Der damalige AfD-Parteivorsitzende hatte 2017 über die damalige Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz gesagt, man könne sie „in Anatolien entsorgen“. Die Staatsanwaltschaft entschied mit Verweis auf frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, dass die Äußerung im Rahmen der freien Rede lag.
Zuletzt urteilte das Bundesverwaltungsgericht im Falle von Compact: Auch wenn manche Inhalte des Magazins gegen die Menschenwürde verstießen, seien andere Inhalte – in diesem Fall etwa „Verschwörungstheorien und geschichtsrevisionistische Betrachtungen“, die in Compact Platz fanden – von der Meinungsfreiheit geschützt. Ein Verbot wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn die „verfassungswidrigen Aktivitäten“ überwogen hätten.
AfD-Vertretende nutzen Regierungsvorhaben zur Stimmungsmache
Nicht nur im Fall „Shlomo“ deuten AfD-Vertretende die Meinungsfreiheit um. So auch etwa im Zusammenhang mit Plänen der Union und SPD. Die Regierungskoalition will Menschen, die mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurden, das passive Wahlrecht entziehen und den Straftatbestand verschärfen. Ein solcher Vorschlag stieß in der Vergangenheit unter Fachleuten auf Kritik. AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum nutzt ihn, um Volksverhetzung als „Äußerung von Meinungen“ abzutun.
Das stimmt schon allein deshalb nicht, weil juristisch unter Volksverhetzung nicht nur Meinungen fallen können, schreibt Jurist Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosoph an der Universität des Saarlandes und selbst Richter, auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Der Paragraf umfasst etwa auch die Leugnung oder Verharmlosung der Nazi-Verbrechen. Oğlakcıoğlu formuliert das so: „Die Ermordung von sechs Millionen Juden stellt keine Meinung dar, sondern eine Tatsache.”
Strategie Zwei: Das Justizsystem sabotieren
Manche gehen deutlich weiter, als Volksverhetzung öffentlich zu bagatellisieren. Zum Beispiel der X-Account „Wuppi“, der dem rechten Aktivisten Patrick Kolek zugeordnet wird. „Wuppi“ kämpft auf eine andere Art für seine Version der Meinungsfreiheit: Er hat das Justizsystem im Visier. Auch wenn seine Reichweite dabei überschaubar ist, so ist er ein Bindeglied zur AfD. Er hat für sie gearbeitet und würde das offenbar gerne wieder tun.
Im Visier hat „Wuppi“ etwa jenen Staatsanwalt, der laut ihm gegen „Shlomo Finkelstein“ vorging. „Wuppi“ veröffentlichte nicht nur dessen Namen und Foto, er schrieb auch, er wolle ihm „ein wenig auf die Finger schauen“, der Staatsanwalt komme auf den „Prüfstand“. Der Staatsanwalt, so scheint es, steht für Kolek stellvertretend für den Rechtsstaat und für das, was Kolek als Einschränkung der Meinungs- oder Redefreiheit versteht. Weil er den Staatsanwalt exponiert habe, gab es eine Hausdurchsuchung bei ihm, das sagt auch Kolek in einem Video.
„Wuppi“ ruft in seinem „Rechtskampf“ auch dazu auf, „Material zu Staatsanwälten und Richtern“ einzusenden, um sie „unter die Lupe“ zu nehmen und dazu, deren Namen zu veröffentlichen. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schreibt Kolek, es gehe dabei um den „transparenten Ansatz, den Urteilen und Entscheidungen ein Gesicht zu geben. Ich träume von einem gläsernen Staat und Justizapparat“. Eine Bedrohung sieht er darin nicht.
Vor allem aber stellt Kolek selbst dutzende Anzeigen und andere Nutzer folgen seinem Beispiel. Etwa 60 Anzeigen sollen es bislang sein. Viele davon sind öffentlich, häufig geht es um angebliche Delikte von Volksverhetzung oder dem Zeigen verbotener Symbole. So veröffentlichte „Wuppi“ etwa eine Anzeige gegen den Stern, nachdem dieser im Rahmen seiner Berichterstattung ein Hakenkreuz auf dem Cover hatte, oder gegen den ehemaligen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, weil dieser den Arm angeblich zum Hitlergruß gehoben habe. Von einer Staatsanwaltschaft, bei der gleich 19 derartige Anzeigen liegen, heißt es: „Zu einem nicht unerheblichen Teil sind die Verfahren eingestellt beziehungsweise Ermittlungen gar nicht erst aufgenommen worden.“
Werden solche Fälle eingestellt, sagt Strafrechtler Norouzi, bleibe die Botschaft übrig: „Soweit kann man noch gehen. Da passiert einem noch nichts“. Und: So könne man „das System gut sabotieren“, indem man Arbeit verursacht. Bei „Wuppi“ klingt das auf X so: „Wenn ihr keine Hausdurchsuchungen bekommt, dann sind wir vielleicht daran schuld“.
Fallen die Beiträge vom X-Account „Wuppi“ unter die Meinungsfreiheit?