Rechtsextreme Massendemo in London: Für die Rechten ein Erfolg, der alles Gekannte sprengt
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London taz | Ein rot-weißes englisches Fahnenmeer, vereinzelte schottische und walisische Fahnen und natürlich der britische Union Jack – die rechtsextreme Großkundgebung unter dem Slogan „Unite the Kingdom“ am Samstag mitten in London machte ihrem Namen alle Ehre. 110.000 bis 150.000 Menschen drängten sich nach Polizeiangaben auf den Straßen vom Bahnhof Waterloo über die Themse bis nach Whitehall, der Hauptstraße des Regierungsviertels. Neben Slogans wie „Stoppt die Boote“, und „Rettet unsere Kinder“ skandierten einige einfach „Oh Tommy Tommy“, eine Hommage an den Veranstalter Tommy Robinson, mit wirklichem Namen Stephen Yaxley-Lennon, der bekannteste Rechtsextremist Großbritanniens.
Britische Fahnen waren erst im Sommer zum politischen Symbol in vielen Regionen Großbritanniens geworden, um Nationalstolz und Patriotismus zu zeigen, weit über rechtsextreme Kreise hinaus. Englandfahnen wurden aus Fenstern gehängt, auf Verkehrsinseln und an Mauern gemalt. Das stand vielerorts im Zusammenhang mit den Protesten vor Hotels gegen die Unterbringung von Asylbewerbern auf Staatskosten, wogegen sich unter anderem der 42 Jahre alte Robinson einsetzte. Seit über zwei Monaten hatte er für die Großdemonstration am 13. September mobilisiert.
Für Robinson wurde dieser Samstag ein Erfolg, der alles bisher Gekannte sprengt. Es war die größte rechtsextreme Massendemonstration der britischen Geschichte, größer auch als die berüchtigten Aufmärsche der „British Union of Fascists“ in den 1930er Jahren. Und während bei früheren solchen Aufrufen Stiefel, Fliegerjacken und kahlrasierte Köpfe dominierten, waren viele der Leute, die jetzt extra nach London gekommen waren, Durchschnittsmenschen aus allen Teilen des Landes, darunter auch einige Schwarze und andere People of Colour. Einige verkleideten sich als mittelalterliche Ritter oder Mönche. Andere kletterten mit Englandfahnen auf Denkmäler – die Löwen am Südende der Westminster Bridge, die zum Parlamentsgebäude führt, waren mit einem Fahnenmeer übersät.
Auffällig waren auch die Schilder mit dem Bild von Charlie Kirk, der vergangene Woche in den USA ermordete rechtsextreme Influencer, mit Sprüchen wie „Charlie Kirk RIP“ oder „I am Charlie“ zeigten die Demonstranten ihre Solidarität. Auch übergroße christliche Kreuze konnten in der Menge gesichtet werden.
„Sie schlachteten uns ab, dämonisierten uns“
Der Aufmarsch war vor allem eine Gelegenheit zur Selbstpräsentation. Tommy Robinson, der erst vor Kurzem nach einer Haftstrafe wegen falscher Aussagen über einen syrischen Migranten freigekommen ist, behauptete, die Politik würde ihm den Mund verbieten. Er stilisierte sich zum Opfer politischer Verfolgung: „Sie schlachteten uns ab, dämonisierten uns, attackierten uns und sperrten uns ein.“ Seine Unterstützer hätten sich bisher von Wahlen ferngehalten – jetzt gelte es, 20 Millionen anzuspornen, um die Macht über das Land zurückzuholen.
Star der Veranstaltung war der US-amerikanische Tesla-Milliardär und X-Besitzer Elon Musk, der sich per Videolink zuschaltete. Es sei wunderschön, britisch zu sein, behauptete der gebürtige Südafrikaner, doch unkontrollierte Masseneinwanderung zerstöre Großbritannien. „Es besteht ein Versagen der Regierung, unschuldige Menschen zu schützen, darunter Kinder, die massenvergewaltigt werden“, sagte er und warnte vor Vergewaltigung, Mord, Zerstörung des Landes und seiner Lebensweise. „Wenn der Kampf zu dir kommt, hast du keine Wahl, ob du Gewalt wählst oder nicht – Gewalt kommt zu dir. Entweder kämpfst du zurück oder du stirbst. Das ist, glaube ich, die Wahrheit.“
Musk behauptete weiter, dass Briten keine freie Meinungsäußerung hätten – eine Aussage, die erst vor kurzem Nigel Farage vor einem Ausschuss des US-Kongresses gemacht hatte – und sprach die Ermordung Charlie Kirks direkt an. „Es gibt so viel Gewalt in der Linken, etwa die brutale Ermordung unseres Freundes Charlie Kirk diese Woche und wie es die Linken feierten. Die Linke ist die Partei von Mord und der Feier von Mord.“
Auch der AfD-Politiker Petr Bystron, der kanadische Ezra Levant, der französische rechtsextreme Politiker Éric Zemmour und Morten Messerschmidt von der Dänischen Volkspartei betraten die Rednerbühne. Eure Feinde sind unsere Feinde, verkündete Bystron während Zemmour von einem Bevölkerungsaustausch in Europa warnte. „Wir werden von den vorherigen Kolonien kolonisiert.“ Er selbst stammt aus einer Familie mit Migrationshintergrund aus Algerien.
Die meisten den Anwesenden konnten keine einzige Rede hören, da sie weitab der Rednerbühne standen und nicht durchkamen. Manche suchten frustriert nach anderen Wegen, woraufhin es zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kam. Bierdosen, Flaschen, Metallgegenstände, Straßenabsperrungen, Feuerwerkskörper und Pferdeäpfel flogen durch die Gegend. 26 Polizeibeamte erlitten Verletzungen, vier davon schwer. Etwa genauso viele Personen wurden bis zum Abend festgenommen. Die meisten Teilnehmer blieben friedlich.
Konfrontation mit Polizei und Linken
Einige suchten gezielt Straßenkämpfe mit dem Gegenmarsch der Gruppe „Stand Up to Racism“, der stark von Polizeidienstkräften geschützt wurde. Normalerweise dominieren antirassistische und antifaschistische Gegendemonstranten, wenn die britische Rechte auf die Straße geht. Diesmal schätzte die Polizei ihre Zahl auf nur 5000. Selbst wenn die von „Stand Up tp Racism“ angegeben 20.000 stimmen würde, wären das immer noch viel weniger als die Anhänger Tommy Robinsons.
Dabei hatte „Stand up to Racism“ auf ihrer Webseite den 13. September zum „Weckruf“ erklärt, nicht nur hinsichtlich der rechtsextremen Demo, sondern auch bezüglich der Stärke der Rechtspopulistenpartei Reform UK von Nigel Farage, die mit durchschnittlich rund 30 Prozent in den britischen Meinungsumfragen seit Monaten weit vorne liegt. „Die antirassistische Bewegung muss dies dringlichst beantworten: Die Mehrheit in Großbritannien ist antirassistisch!“ hieß es. Dies müsse man beweisen, auf der Straße und an den Wahlurnen.
Aber die Linken sind gespalten. Die bekanntesten Politiker:Innen auf der Gegendemo waren umstrittene Linkssozialisten. Etwa die Abgeordnete Zarah Sultana, die aus der regierenden Labour-Partei ausgetreten ist, um mit dem parteilosen Ex-Labourchef Jeremy Corbyn eine neue Partei aufzubauen, vor allem unter dem gemeinsamen Nenner der Gazapolitik. Oder auch Diane Abbott, eigentlich Labours prominenteste Schwarze, die derzeit wegen Aussagen bezüglich Juden und Jüdinnen zum zweiten Mal suspendiert ist. Eine Einheitsfront gegen Rechtsextremismus müsste auch Labour, Liberale, Grüne, moderate Konservative und Persönlichkeiten über den hartlinken Rand hinaus einbeziehen.
Stunden nach der Veranstaltung konnten in und vor den Kneipen nahe den Bahnhöfen noch lange gesellige Menschentrauben mit Englandfahnen über den Rücken beobachtet werden, auf ein Bier vor der Rückfahrt nach einem historischen Tag.
Noch vor 15 Jahren war Tommy Robinson eine Randerscheinung, seine „English Defence League“ eine Ansammlung betrunkener rassistischer Hooligans, die gerne auch mal draufschlugen und mit denen wenige tun haben wollten. Selbst der Rechtspopulist Farage hält offiziell Abstand zu Robinson. Aber mit Rückenwind aus den USA und indem britische Politiker quer durch alle Parteien Zuwanderung und ihre Folgen zum Problem erklären, hat rechtsextremes Gedankengut es tatsächlich geschafft, Teil des politischen Gesprächs einer Gesellschaft zu werden, die sich bisher als tolerant und weltoffen definiert hat. Aufrufe zum Kampf in Anwesenheit von über 100.000 Überzeugten mitten in London sind kein Randphänomen mehr.
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September 14, 2025 at 03:36PM