Fair und angemessen? – Die #LaTdH vom 1. Juni
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Herzlich willkommen …
… zur 397. Ausgabe der „Links am Tag des Herrn“ (#LaTdH). „Das ist völkerrechtswidrig“, erklärte in dieser Woche der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zur Kriegsführung Israels im Gaza-Streifen im Interview bei Dunja Hayali im ZDF. In den vergangenen Monaten gehörte Klein zu jenen politischen Akteur:innen, die Israels Kriegsführung trotz der Aufgabe des Waffenstillstands und Einschränkungen von Hilfslieferungen immer wieder verteidigt hatten. Im März hatte Klein noch öffentlich überlegt, ob den Umsiedelungsplänen von US-Präsident Donald Trump nicht doch etwas abzugewinnen sei. Dagegen verwahrte sich die damalige Bundesregierung.
Ende März hatte die damalige Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock (Grüne), gemeinsam mit ihren französischen und britischen Kollegen scharfe Kritik an Israel geübt. Baerbocks Außenpolitik wurde wiederum von Philipp Peyman Engel, dem Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, bei der WELT als „Katastrophe auf ganzer Linie“ beschrieben. Sie habe sich immer wieder „gegen Israel“ und an die Seite der Vereinten Nationen gestellt und trotz „der existentiellen Not Israels ein stilles Waffenembargo“ umgesetzt.
Von der neuen Bundesregierung wünschte Engel sich eine „große Änderung“ der Israel-Politik, gar keine „unkritische“, aber eine „faire und angemessene“. Angesichts der neuen Offensive Israels im Gaza-Streifen und den nach wie vor eingeschränkten Hilfsleistungen äußerte sich in dieser Woche Baerbocks Nachfolger Johann Wadephuhl (CDU) aber noch viel schärfer als sie:
„Ich glaube, diese [israelische] Regierung muss ganz klar wissen, dass wir uns nicht instrumentalisieren lassen und dass auch unser hundertprozentiger Kampf gegen Antisemitismus und unsere vollständige Unterstützung für das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israel nicht instrumentalisiert werden darf für die Auseinandersetzung, für die Kampfführung, die derzeit im Gazastreifen betrieben wird.“
Im Land der Beauftragten und Bevollmächtigten (s.u.), das Deutschland auch ist, macht es einen Unterschied, dass in diesen Tagen Vertreter:innen der Bundesregierung und auch deren Antisemitismusbeauftragter den Bruch des Völkerrechts durch Israel klar benennen (müssen). Trotzdem 80 % der Bevölkerung die Kriegsführung Israels ablehnen, hing über der (amtlichen) Debatte in Deutschland vor dieser Woche ein Schleier maximaler Zurückhaltung, der der „humanitären Katastrophe“ im Heiligen Land wahrlich nicht angemessen ist. Was ist „fair“ gegenüber Israel? Der hessische CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler beantwortete diese Frage in dieser Woche laut Jüdischer Allgemeinen dahingehend, die Freundschaft mit Israel gelte nicht der Regierung von Benjamin Netanjahu:
„Vom demokratischen Israel einzufordern, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren, macht niemanden zum Antisemiten.“
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Wie die Jüdische Allgemeine zusammenfasst, stehen einem Waffenstillstand in Gaza unter der Verhandlungsführung der USA eine Menge von sich gegenseitig ausschließenden Forderungen der israelischen Regierung und der Hamas im Wege. Vorerst läuft die Offensive der israelischen Armee also weiter und Hilfsleistungen gelangen nur auf dem umstrittenen Weg über die Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) ins Kriegsgebiet.
Verschärfte Rhetorik – Michael Thaidigsmann (Jüdische Allgemeine)
Michael Thaidigsmann fasst in der Jüdischen Allgemeinen die rhetorischen Anschärfungen dieser Woche zusammen. Und er bemerkt auch, dass sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) deutlich kritischer noch als im Wahlkampf gegenüber der israelischen Regierung positioniert: „Ob es dem Amt geschuldet ist oder dem wachsenden Unverständnis über Israels Vorgehen? Vermutlich beidem.“ Merz hatte unter der Woche erklärt:
Beim WDR-Europaforum in Berlin betonte Bundeskanzler Friedrich Merz zwar, gerade Deutschland müsse sich mit öffentlichen Ratschlägen an Israel »so weit zurückhalten wie kein zweites Land auf der Welt«. Er verstehe aber nicht, so Merz, mit welchem Ziel und mit welchen Methoden Israel in Gaza Krieg führe. »Wenn Grenzen überschritten werden, wo einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt wird, dann muss auch Deutschland, dann muss auch der deutsche Bundeskanzler dazu etwas sagen.« Die israelische Regierung dürfe nichts tun, »was nun irgendwann ihre besten Freunde nicht mehr bereit sind, zu akzeptieren«. Seinem Amtskollegen Benjamin Netanjahu habe er, so Merz, in den letzten zwei Jahren schon mehrfach gesagt: »Übertreibt es nicht!«
Vom Kurs, Kritik nur „hinter verschlossenen Türen“ zu äußern, ist Merz in dieser Woche medienwirksam abgewichen und antwortet damit auch auf eine Initiative mehrerer europäischer Regierungschefs und von 17 EU-Mitgliedsländern, die das EU-Israel-Assozierungsabkommen überprüfen wollen. Auch die Frage der fortdauernden Waffenlieferungen aus Deutschland an Israel wird wohl auf die politische Tagesordnung rutschen.
Deutschland ist (mit weitem Abstand) nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels und maßgeblich für die Abschreckung Israels gegen seine Feinde mitverantwortlich. „Mutmaßlich“ sind die von Deutschland an Israel gelieferten (und zum Teil bezahlten) U-Boote mit Atomwaffen bestückt, berichtet die SZ: „Hier materialisiert sich, was die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Diktum zusammengefasst hatte, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei.“ Außenminister Wadephul hatte diese Woche in der SZ (€) angedeutet, man müsse andere Waffenlieferungen „überprüfen“. „Grundsätzlich richtig“ findet allerdings Thorsten Frei (CDU), der Kanzleramtsminister, die deutschen Lieferungen an Israel. Der FAZ (€) sagte er: „Das besondere Verhältnis zu Israel steht über allen anderen Erwägungen.“
In dieser Woche hat außerdem der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert in mehreren internationalen Medien den Kurs der Regierung Netanjahu scharf kritisiert. Das „unterschiedslose, grausame und kriminelle“ Töten von Zivilisten müsse aufhören, schrieb er z.B. im britischen Guardian (auf Englisch). Die Kritik an Israels Vorgehen weist jedoch die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, laut Jüdischer Allgemeinen zurück. Zu den fehlenden Hilfsleistungen sagte sie:
»Sind die Geiseln frei, kann man über alles reden«, sagte die Holocaust-Überlebende der Deutschen Presse-Agentur in München zum Bedarf an Hilfskonvois für die Menschen im Gazastreifen. Ihr liege zunächst das Schicksal der israelischen Geiseln am Herzen. »Aber dieses Thema, das die aktuelle Situation hervorgerufen hat, steht hierzulande leider kaum noch auf der Tagesordnung.«
Humanitäre Katastrophe beenden (EKD und Diakonie Katastrophenhilfe)
Wie bereits in der vergangenen Woche das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK, s. #LaTdH vom vergangenen Sonntag) äußerte sich in dieser Woche der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) kritisch gegenüber der israelischen Kriegsführung, nicht ohne jedoch das Leid der Geiseln ebenso zu erwähnen wie den Auslöser des derzeitigen Gaza-Krieges, den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, den ich hier in den #LaTdH damals ein Pogrom genannt habe.
Die Hamas hat am 7. Oktober 2023 Israel überfallen. Bei diesem menschenverachtenden Angriff hat sie mehr als 1.200 Menschen ermordet und mehr als 200 Menschen verschleppt. Einige von ihnen befinden sich noch immer in Geiselhaft. Ungeachtet des legitimen Selbstverteidigungsrechts Israels rufen der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie Katastrophenhilfe angesichts der dramatischen humanitären Lage im Gazastreifen zu einem sofortigen Ende der Gewalt auf.
So beginnt die gemeinsame Presseerklärung von EKD und Diakonie Katastrophenhilfe, in der auch die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs und die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe Dagmar Pruin mit Statements zu Wort kommen. Pruin kritisiert:
„Die humanitäre Katastrophe in Gaza hat ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. Nach einer monatelangen Blockade durch die israelische Regierung erreichen erneut viel zu wenige Hilfsgüter den Gazastreifen, Hunger ist allgegenwärtig. Die Kriegsparteien verstoßen wiederholt gegen das humanitäre Völkerrecht – etwa durch den Beschuss ziviler Infrastruktur wie Krankenhäuser, Angriffe auf humanitäre Helfer oder die andauernde Geiselnahme. Das Schicksal der Zivilbevölkerung und der Geiseln in diesem Krieg erfüllt uns mit tiefer Sorge.“
Fehrs und Pruin erinnern an das „Fundament des Völkerrechts“ und die „Achtung der Menschenrechte für alle Menschen in der Region“, die für „eine friedliche Perspektive“ unerlässlich seien. Mit ihrer Kritik bleibt die Evangelische Kirche allerdings hinter der Schärfe der Einordnungen durch die deutsche Bundesregierung zurück. Die Geiseln bleiben für die Kirchen „auf der Tagesordnung“. In den kommenden Tagen ist auch mit einer Stellungnahme aus der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zu rechnen.
RE: Mai 2025: Papst Leo XIV., Gaza-Krieg & Kirchentag 2025 – Michael Greder, Philipp Greifenstein (Die Eule, 59 Minuten)
Über die kirchlichen Stellungnahmen zum Gaza-Krieg sprechen wir in der Eule im aktuellen Monatsrückblick des „Eule-Podcast“ für den Mai 2025 (ab 30:00 Min). Mit Podcast-Host Michael Greder diskutiere ich, wie es jetzt weitergehen könnte – und welchen Beitrag die Kirchen und ihre Hilfswerke leisten können. Außerdem sprechen wir auch über den neuen Papst Leo XIV. und seine Agenda sowie über die Segens- und Trauuungsaktion „einfach heiraten“ und den 39. Deutschen Evangel