Berufswahl im Zeitalter der lernenden Maschinen – Offener Brief an meine Nichte (Abi-Jahrgang 2025)
Berufswahl im Zeitalter der lernenden Maschinen – Offener Brief an meine Nichte (Abi-Jahrgang 2025)
Liebe Anna,
als du mich fragtest, ob „Informatik, Medienwissenschaft oder Politik“ noch zukunftssicher sind, merkte ich, wie löchrig die alte Landkarte der Arbeit geworden ist. Code wird von KI vervollständigt, Diagnosen von Algorithmen unterstützt, Routineverträge von Bots geprüft. Laut Weltwirtschaftsforum wird bis 2030 fast jede zweite Kompetenz umgeschrieben. Was also studieren?
Meine Empfehlung: Drei Felder, die weniger vom Titel als vom Skill-Mix leben. Warum? Weil sie Eigenschaften bieten, die KI kaum kopieren kann: direkten Menschenkontakt, interdisziplinäres Denken und sinnliche Materialerfahrung. Sie bilden zusammen einen „Human Moat“ – einen Schutzwall gegen reine Automatisierung.
1 | HEALTH & HUMAN SERVICES – BERUFE MIT EMPATHIE-FAKTOR
Das ist erwartbar: Pflege, Sozialarbeit, Therapie oder Pädagogik bleiben knapp, weil Demografie und Krisen Resilienz verlangen.
Typische Rollen: Pflegefachfrau+, Physician Assistant, Tele-Coach Mental Health.
Schlüssel-Skills: evidenzbasierte Pflege, interkulturelle Kommunikation, Basiswissen Medizinrecht und Datenschutz.
2 | TWIN-TRANSITION CAREERS – KLIMA × TECHNOLOGIE
Smarte Mash-Ups: Unternehmen brauchen Talente, die CO₂-Reduktion mit Datenkompetenz verbinden.
Typische Rollen: Nachhaltigkeits-Data-Analyst, Circular-Economy-Ingenieurin, KI-Policy-Analyst, Energy-Systems-Modeler.
Schlüssel-Skills: Life-Cycle-Assessment, Python/R, EU-Regulatorik (CSRD, AI Act), Systemdenken.
3 | CRAFT & EXPERIENCE DESIGN – WERT DES EINZIGARTIGEN
Je perfekter Massenware KI-optimiert ist, desto höher steigt der Wert des Nicht-Skalierbaren.
Typische Rollen: Produktdesigner*in für Bio-Materialien, Restaurator, Schreinerin mit CNC-Know-how, UX-Designer für phygitale Erlebnisse.
Schlüssel-Skills: Materialkunde, CAD/CAM & 3-D-Druck, Storytelling, Customer-Journey-Mapping.
Das ist natürlich nur ein Ausschnitt. Aber ich denke, die Muster dahinter sind klar, um es selbst weiterzudenken.
WAS VERSCHWINDET?
Alles, was rein repetitiv ist: Standard-Reporting, einfache Software-Tests, seitenlange Vertragsprüfungen. Die Maschine erledigt es schneller und billiger – doch jemand muss die Systeme entwerfen, mit Daten füttern und ethisch beaufsichtigen.
MEIN RAT IN DREI SÄTZEN
>> Suche kein Joblabel, sondern ein Problem, das dich elektrisiert. <<
Kombiniere digitale Grundfitness, empathische Kommunikation und moralischen Kompass. Dann arbeitest du nicht gegen Maschinen, sondern mit ihnen – und kannst dir jederzeit einen neuen Beruf erfinden.
Vielleicht startest du als Pflege-Informatikerin, wirst später KI-Ethikerin und eröffnest irgendwann eine Bäckerei, in der Roboter den Teig kneten, während du den Sauerteig fütterst und Kund:innen berätst. Zukunftssicherheit entsteht nicht aus einem Studium, sondern aus lebenslanger Lernlust. Die Welt bleibt turbulent, doch wer Richtung Sinn steuert, hat immer Rückenwind.
Dein Onkel
Stefan | 59 Kommentare auf LinkedIn