Deutsche leisten zu wenig? „Millionär Merz“ hat Bezug zur Lebensrealität verloren flip.it Startseite Politik Stand: 30.10.2024, 20:16 Uhr
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Friedrich Merz plädiert für mehr Leistung im Land. Mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen haben seine Forderungen nichts zu tun, sagt unser Gastautor.
Ein Gastbeitrag des SPD-Bundestagsabgeordneten Macit Karaahmetoğlu.
So richtig wohl schien Friedrich Merz sich nicht zu fühlen, als er am vergangenen Wochenende beim Deutschlandtag der Jungen Union die Bühne betrat. Sein Einmarsch durch die Menge im Stil eines Boxers wurde nicht nur von wummernden Bässen einer Rap- Version des Grönemeyer-Hits „Zeit, dass sich was dreht“ begleitet. Sondern auch von unzähligen Bodyguards, die ihn vom jungen Parteinachwuchs abschirmten. Man konnte den Eindruck gewinnen, der Parteivorsitzende fühle sich unsicher, umgeben von so vielen jungen Menschen.
Friedrich Merz „betreibt Sozialstaat-Bashing“ In seiner Rede wechselte er wahllos zwischen „Sie“ und „Ihr“ sowie „meine Damen und Herren“ und „liebe Freunde“. Auch wenn der Kanzlerkandidat der Union – zu diesem Anlass ausnahmsweise ohne Krawatte – den Anschein erwecken wollte, es wäre anders, ist die Jugend weder seine Lebenswelt noch Komfortzone. Mir fällt bei Merz immer wieder auf: Der Mann ist irgendwie schräg und hat einen damit verbundenen anderen Blick auf die Lebensrealitäten vieler Menschen in unserem Land.
Macit Karaahmetoğlu im Bundestag Gastautor Macit Karaahmetoğlu ist seit 2021 Bundestagsabgeordneter. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag. © Peter Sieben Bürgergeldbeziehenden macht er gern pauschal den Vorwurf, sie würden dieses als bedingungsloses Grundeinkommen ansehen. Inzwischen ein Merz‘scher Klassiker: die Behauptung, Asylsuchende würden den Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen. Und ohnehin wird ihm zufolge in unserem Land zu wenig geleistet. Dieser Kanzlerkandidat betreibt völlig schmerzbefreit Sozialstaat-Bashing und stellt das oberste Prozent unserer Gesellschaft, also die absoluten Spitzenverdiener, gern als die wahren Leistungsträger unseres Landes dar. In der sozialdemokratischen Idee für die kommenden Jahre, 95 Prozent der Bevölkerung steuerlich zu entlasten, während die besagten 1 Prozent etwas stärker zur Kasse gebeten werden, sieht Merz einen Angriff auf den Mittelstand.
Merz versus Scholz: „Es klingt, als verachte er diesen Mann“ Zu diesem zählte er sich in einem Interview von 2018 übrigens auch. Im selben Interview gab er preis, etwa eine Million Euro im Jahr zu verdienen. Friedrich Merz und die Lebenswelten – das ist so eine Sache. Merz besitzt ein Privatflugzeug und hat während einer gut zehnjährigen Auszeit von der Politik, dem Vernehmen nach, ein beträchtliches Vermögen angehäuft – als Partner einer Wirtschaftskanzlei, aber auch als Aufsichtsrat bei Privatbanken, Vermögensverwaltungen, der deutschen Börse, Versicherungsunternehmen sowie einem Flughafen.
Diese Goldrauschphase nannte er kürzlich einen „Teil der Lebenserfahrung“, die er im selben Atemzug dem amtierenden Bundeskanzler absprechen möchte. Dieser habe sich ja entschlossen, „auf Dauer und allein Berufspolitiker“ zu werden. Es klingt, als verachte er diesen Mann, Olaf Scholz, dafür, nicht auf die Karte Geld gesetzt, sondern sein Leben in den Dienst an der Gesellschaft gestellt zu haben. Und es stimmt – weder als Rechtsanwalt, der sich vor allem für Arbeitnehmer einsetzte, noch als Bürgermeister Hamburgs oder Arbeits- und Finanzminister der Bundesrepublik, war Olaf Scholz, gesellschaftlich gesehen, ein Spitzenverdiener.
Sein Vater betonte vor einigen Jahren in einem Interview süffisant, auch als Bundeskanzler verdiene Olaf Scholz von seinen drei Söhnen am wenigsten. Und trotzdem steht der Berufspolitiker Scholz in schwersten Zeiten mit nie dagewesenen Krisen da und hält Deutschland auf Kurs. Er ist, ganz unabhängig seines Einkommens – wie viele Millionen fleißige Menschen in unserem Land – ein Leistungsträger. Der Millionär Merz hingegen stellt sich bei der Jungen Union auf die Bühne und stellt den Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Putins als „Chance“ dar, die Scholz nicht genutzt habe, um Deutschland im Bereich Verteidigungspolitik und darüber hinaus auf einen „neuen Kurs“ zu bringen.
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