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Hubert Kleinert. Müssen die Grünen bürgerlicher werden?
Hubert Kleinert. Müssen die Grünen bürgerlicher werden?

Müssen die Grünen bürgerlicher werden? „Ich sehe keine andere Chance“ flip.it Politik Deutschland Hubert Kleinert im Interview „Die Grünen sind wahrscheinlich zu sehr im eigenen Milieu gefangen“ Heute, 30.10.2024 | 14:53 FOCUS-online-Redakteurin Anna Schmid Der Politikprofessor Hubert Kleinert saß in den 80er Jahren für die Grünen im Bundestag. Heute sieht er die Partei am Scheideweg. Er sagt: „Wenn sie in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken wollen, dann können die Grünen nicht gleichzeitig Politik für den linken Rand machen.“

FOCUS online: Herr Kleinert, Sie sind nicht nur Politikprofessor, sondern gehörten 1983 der ersten Grünen-Fraktion im Bundestag an. Wie würden Sie die Grünen aus heutiger Sicht beschreiben?

Hubert Kleinert: Als Partei, die in Bewegung ist. Die Grünen haben sich über die vergangenen Jahrzehnte mehrfach gehäutet. Sie waren mal mehr, mal weniger populär. Von 2018 bis 2022 kam es zu einem nahezu märchenhaften Aufstieg. Danach ging es bergab.

Warum?

Kleinert: Das Fundament des Aufstiegs war instabil. Damals hatte das Klimathema Konjunktur, „Fridays for Future“ sorgte für einen regelrechten Hype. Schwächen anderer Parteien und eine gute Inszenierung der Grünen-Spitze spielten sicherlich auch eine Rolle.

Bei der Bundestagswahl 2021 reichte es für 14,8 Prozent.

Anzeige Kleinert: Ja. Und es ging eigentlich gut los mit der Regierungsbeteiligung. Man fuhr eine klare Linie in der Ukraine-Politik, das war für viele überraschend. Robert Habeck sammelte Sympathiepunkte als großer Kommunikator.

Aber wie sie schon sagten: Dann bröckelte das grüne Image.

Kleinert: Das Heizungsgesetz hat die Grünen einiges an Glaubwürdigkeit gekostet, es kam ja aus dem Wirtschaftsministerium. Dazu die sich verschlechternde Performance der Gesamt-Regierung. Auch bei der Kindergrundsicherung oder beim Bürgergeld haben die Grünen keine gute Figur abgegeben. Große Erfolge, die man sich heute auf die Fahne schreiben kann, gibt es nicht.

„Die Grünen haben meist den Bremser gespielt“ Und dann ist da noch das Thema Migration.

Kleinert: Ein Großteil der Deutschen hält das Land für überfordert und will eine Begrenzung irregulärer Zuwanderung. Die Grünen haben, was das angeht, meist den Bremser gespielt. Auch das schadet ihnen. Eine Regierungspartei muss zeigen, dass sie auch die Anliegen der Mehrheit im Blick hat.

Seit Wochen rumort es in der Partei. Viele Nachwuchspolitiker haben sich zurückgezogen, die Grünen-Bundesspitze ist zurückgetreten. Wie blicken Sie auf diese Entwicklungen?

Kleinert: Personell tut sich etwas. Ob sich an der Grundausrichtung der Partei etwas ändert, wird sich zeigen. Was man auch erkennen kann: Habeck spielt eine immer zentralere Rolle. Wobei er selbst angeschlagen ist.

Angeschlagen?

Kleinert: Wenn ich sage, er hat Schrammen durchs Heizungsgesetz abbekommen, ist das noch nett formuliert. Dazu kommt die schlechte ökonomische Lage, für die er als Wirtschaftsminister mitverantwortlich ist. Ich bin pessimistisch, was seine Chancen als Kanzlerkandidat angeht.

Aber Sie glauben, Habeck ist als grüner Kanzlerkandidat gesetzt?

Kleinert: Davon gehe ich aus. Die personellen Veränderungen, die jetzt vorgenommen werden, wirken jedenfalls so. Ob Habeck daran einen Anteil hatte, kann ich nicht sagen. Aber die Medienkommentierung ist ein Selbstläufer. Der Wirtschaftsminister ist der, der am meisten wahrgenommen wird. Die stärkste Figur der Grünen.

Wie würde es denn Stand jetzt für die Grünen bei der Bundestagswahl laufen?

Kleinert: Sie würden um die zehn Prozent der Stimmen einfahren, denke ich. Aber da spielen viele Dinge eine Rolle. Zum Beispiel, wie es mit der Wagenknecht-Partei weitergeht. Oder, was die SPD macht. Bleibt sie bei 15 Prozent oder kommt sie doch in die Nähe von 20? In jedem Fall denke ich, die Grünen werden mit Verlusten rechnen müssen.

Über den Interviewpartner „Die Weichen sind auf Pragmatismus gestellt“ Was halten Sie von den neuen Vorschlägen für die Parteispitze? Neben Franziska Brantner und Felix Banaszak sollen Heiko Knopf und Sven Giegold in den Vorstand kommen.

Kleinert: Vorweg: Ich kenne nicht alle der genannten Personen. Aber sicher ist, dass Brantner Habeck inhaltlich nahesteht. Sie fungiert nicht nur als parlamentarische Staatssekretärin in seinem Ministerium, sondern gehört auch zum Realo-Flügel. Giegold ist zwar offiziell eher links, aber auch Habeck-nah. Zumindest kein Anti-Realo.

Das heißt?

Kleinert: Die Weichen sind auf Pragmatismus gestellt. Und das müssen Sie auch sein.

Warum?

Kleinert: Die Zahlen der letzten Jahre sind eindeutig. Die Kernwählerschaft in den Metropolen ist der Partei zwar großteils treu geblieben. In der Mitte verlieren die Grünen aber deutlich an Sympathie. Vor allem auf dem Land weht den Grünen Gegenwind ins Gesicht. Es gibt Kreise, die sauer auf sie sind, sie fast schon hassen.

Wegen des Heizungsgesetzes?

Kleinert: Unter anderem. Die Sympathiekurve ist abgebrochen. Ich kann das nachvollziehen. Millionen von Menschen hatten Angst, sie müssten sich eine Wärmepumpe einbauen lassen. Mit Sicherheit haben einige von ihnen ausgerechnet, was das kosten würde. Es ist unverständlich, warum die Politik auf die ganze Entrüstung so unvorbereitet war. Betriebsblindheit, anders kann ich es nicht erklären. Die Grünen sind wahrscheinlich zu sehr im eigenen Milieu gefangen.

„Wichtig wäre, zu zeigen, dass es bei den Grünen kein Weiter-so geben wird“ In rund zwei Wochen findet in Essen der Grünen-Parteitag statt. Was hören Sie so im Vorfeld – wie ist die Stimmung bei den Delegierten?

Kleinert: Ich bin erst vorgestern von einer Afrika-Reise zurückgekehrt. Aber Ende September, als Reaktion auf eine Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, haben sich einige Altgrüne bei mir gemeldet. Viele stimmten mir zu, dass die Kommunikation der Parteispitze unmöglich ist, dass die Grünen beim Thema Migration bremsen. Dass die Partei den Wunsch der gesellschaftlichen Mehrheit, irreguläre Zuwanderung zu begrenzen, zu sehr ausblendet.

Realos gegen Linke – glauben Sie, es kommt beim Parteitag zu Konflikten?

Kleinert: Ich habe den Eindruck, man will im Vorfeld möglichst viel Konsens herstellen. Das zeigen auch die Vorschläge für den neuen Bundesvorstand. Ob das gut ist, werden wir sehen.

Was fänden Sie denn gut?

Kleinert: Ich glaube, die Grünen müssten ein deutliches Signal nach außen senden. Zeigen, dass eine realpolitische Erneuerung nötig ist. Auch klimapolitisch bräuchte es einen frischen Ansatz, der weniger stark auf Bevormundung setzt. Bauen ist zum Beispiel so teuer geworden, dass immer neue Auflagen nicht zielführend sind. Die Leute ächzen jetzt schon.

Selbstkritik ist also das Gebot der Stunde.

Kleinert: Ja, und auch da kommt wieder Habeck ins Spiel. Wie beim Heizungsgesetz. Er war damals selbstkritisch. Das sollte er wiederholen und mit neuen Vorschlägen verbinden. Wichtig wäre, der Gesellschaft zu zeigen, dass es bei den Grünen kein Weiter-So geben wird.

„Ich glaube, der Mainstream denkt pragmatisch“ Die Grünen müssen Ihrer Meinung nach also bürgerlicher werden.

Kleinert: Ich sehe keine andere Chance. Die Grünen stehen am Scheideweg. Wenn sie in die Mitte der Gesellschaft hineinwirken wollen, dann können sie nicht gleichzeitig Politik für den linken Rand machen.

Entweder man will den Kretschmann-Weg gehen, also einen Mitte-Links-Kurs fahren, oder man fällt zurück auf maximal zehn Prozent. Die werden die Grünen wohl halten können, aber machtpolitisch haben sie dann nichts zu melden. Wer weiterregieren will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen.

Was halten Sie eigentlich von Schwarz-Grün?

Kleinert: Dazu müssten die Grünen deutlich pragmatischere Duftpunkte setzen. Der Zeitgeist ist konservativer geworden. Das hängt sicher auch mit der Schwäche der Ampel und der Migrationsthematik zusammen. Schwarz-Grün ist sicher eine Option, aber Stand jetzt recht unwahrscheinlich.

Wie schaut die Basis auf das, was die Spitzen-Grünen gerade so machen?

Kleinert: Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Manchen Grünen geht das, was die Regierung macht, zu weit. Die Zugeständnisse in der Migrationspolitik sehen sie zum Beispiel als Aufgabe grüner Grundsätze. Aber ich glaube, der Mainstream denkt eher pragmatisch.

Wie wird der Parteitag ausgehen: Mit Einigkeit oder einem großen Knall?

Kleinert: Ich habe den Eindruck, man will möglichst viel Einigkeit demonstrieren. In den grünen Milieus kreist man viel um sich selbst. Ich weiß nicht, ob die Partei mitbekommen hat, was sich im politischen Spektrum gerade tut – die konservativen Tendenzen, der Personenkult um Wagenknecht. Das wäre aber über den Parteitag hinaus wichtig.

„Die Klügeren sehen, dass Konsequenzen folgen müssen“ Wir haben viel über Habeck gesprochen, aber was ist mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die lange an seiner Seite stand? Man hat den Eindruck, sie ist nicht mehr so präsent wie früher.

Kleinert: Ich kann in den Jahren ihrer Amtsführung zumindest keine gravierenden Fehler erkennen. Klar wirkt die eine oder andere Stellungnahme hölzern. Sicher sind ihre Statements manchmal diskutabel. Letztlich glaube ich, ihr Anfangserfolg verbraucht sich. Das ist wahrscheinlich einfach das Schicksal von Außenministern.

Also wird sie nach der nächsten Bundestagswahl keine Rolle mehr auf dem großen politischen Parkett spielen?

Kleinert: Aus heutiger Sicht würde ich sagen, Baerbocks Zeit als Außenministerin wird mit der nächsten Wahl zu Ende gehen. Sicher kann man sich aber nicht sein.

Die Grünen haben in Umfragen an Zustimmung verloren. Zum ersten Mal seit der Bundestagswahl 2017 kommen sie in einer aktuellen Forsa-Umfrage auf einen einstelligen Wert. Sorgt das für Panik?

Kleinert: Ich glaube, die Klügeren sehen, dass Konsequenzen folgen müssen. Auf der anderen Seite sind die Grünen eine gewöhnliche Machterwerbspartei geworden. Es geht darum, die eigene Position zu behaupten. Das macht sie schwerfällig. Es wird neue Gesichter geben - ob es die Akzente auch sind, werden wir sehen.

sca/

·up.raindrop.io·
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