Panikattacken durch Reizüberflutung?
Panikattacken durch Reizüberflutung?
In meiner Arbeit als Psychotherapeutin fällt mir ein Muster immer wieder auf: Viele neurodivergente Erwachsene – insbesondere mit Autismus, ADHS oder ausgeprägter Hochsensibilität – erleben in Situationen intensiver Reizüberflutung plötzliche Angstzustände oder sogar Panikattacken.
Was auf den ersten Blick anekdotisch wirkt, ist laut aktueller Forschung alles andere als ungewöhnlich. Denn sensorische Reize wirken bei Autismus und ADHS intensiver.
Menschen im Autismus-Spektrum z.B. nehmen ihre Umwelt oft mit einer verstärkten sensorischen Empfindlichkeit wahr. Eine neue Studie zeigt: Sie verlassen sich überproportional stark auf Körpersignale (propriozeptive Reize) und reagieren weniger auf äußere visuelle Hinweise. Diese neurologische Besonderheit steht in engem Zusammenhang mit der Schwere autistischer Merkmale (Lidstone et al., 2025).
Reizüberflutung ist nicht nur unangenehm – sie kann überwältigend sein
Ein Zuviel an Lärm, Licht, Multitasking oder sozialer Interaktion kann schnell zur Überforderung führen. Die Forschung bestätigt, dass sensorische Dysregulation mit erhöhter Stressreaktivität und einer erhöhten Anfälligkeit für Angststörungen verknüpft ist (Genovese & Ellerbeck, 2022).
Hochsensibilität – kein Modewort, sondern ein Risikofaktor?
Zwar ist Hochsensibilität (noch) kein offizieller medizinischer Begriff, doch viele Betroffene beschreiben eine besonders intensive Wahrnehmung und emotionale Reizbarkeit, die mit ADHS oder Autismus korreliert. Je stärker diese innere Reizdichte, desto anfälliger sind sie für Angstzustände – insbesondere, wenn sie versuchen, ihre Reaktion zu verbergen.
Camouflaging: Maskieren kostet Kraft – und macht krank
Neurodivergente Menschen neigen oft dazu, ihre Reaktionen nach außen hin zu „maskieren“ – ein Phänomen, das als Camouflaging bezeichnet wird. Studien zeigen: Diese Anpassungsleistung kann langfristig die psychische Gesundheit massiv belasten und steht in Verbindung mit Depression, Burnout und Panikattacken (Putten et al., 2024).
Was bedeutet das für den Alltag?
1. Reizüberflutung ernst nehmen: Betroffene sind nicht „empfindlich“ – ihr Nervensystem reagiert anders.
2. Panikreaktionen können bei neurodivergenten Menschen der Ausdruck einer Überlastung sein.
3. Rückzugs- und Regulationsmöglichkeiten (z.B. auch am Arbeitsplatz!) können helfen.
Quellen:
D. E. Lidstone et al. "HaptiKart: An engaging videogame reveals elevated proprioceptive vs. visual bias in individuals with autism spectrum disorder." (2025). https://lnkd.in/dDEFhhKu.
A. Genovese et al. "Autism Spectrum Disorder: a Review of Behavioral and Psychiatric Challenges Across the Lifespan." SN Comprehensive Clinical Medicine, 4 (2022): 1-10. https://lnkd.in/diCxtcyi.
T. Radhoe et al. "Is camouflaging unique for autism? A comparison of camouflaging between adults with autism and ADHD." Autism Research, 17 (2024): 812 - 823. https://lnkd.in/dhHHs4sP.