Antisemitismus als Kulturgut - Vortrag von Tom Uhlig - 02.06.22
„Wenn aus dem geschichtlichen Verhängnis der Juden- beziehungsweise Antisemitenfrage, zu dem durchaus auch die Stiftung des nun einmal bestehenden Staates Israel gehören mag, wiederum die Idee einer jüdischen Schuld konstruiert wird, dann trägt hierfür die Verantwortung eine Linke, die sich selber vergisst.“ — Jean Améry, Der ehrbare Antisemitismus (1969)
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„Antisemitismus als Kulturgut. Über Strategien der Verharmlosung im künstlerischen Betrieb“ (Vortrag von Tom Uhlig; gehalten am 2. Juni 2022, 19.30 Uhr)
Antisemitismus hat im Kulturbetrieb andere Ausdrucksmöglichkeiten als in anderen Sphären der Gesellschaft. Von Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ zu Günther Grass Gedicht „Was gesagt werden muss“, kann sich die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden auf den doppelten Boden verlassen, die ihnen die künstlerische Verbrämung bietet. Anstatt, dass über die dort aufgerufenen Bilder von „reichen Juden“ oder dem Israel als „Gefährdung des Weltfriedens“ diskutiert wird, forciert der Kulturbetrieb eine Verschiebung hin zum debattenförmigen Gerede über Kunstfreiheit. Der wirkmächtigste Versuch einer solchen Verschiebung jüngerer Geschichte war wohl die Initiative Weltoffenheit GG 5.3 – ein beispielloser Zusammenschluss von Kulturgiganten, die lamentierten, der Bundestagsbeschluss gegen die antisemitische Boykottbewegung BDS würde ihre Arbeit erheblich einschränken.
Tom Uhlig ist politischer Referent in Frankfurt sowie Mitherausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie „Freie Assoziation“ und der „Psychologie & Gesellschaftskritik“. Zusammen mit Eva Berendsen und Katharina Rhein veröffentlichte er 2020 „Extrem Unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts“ (Verbrecher Verlag)
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serious ! talk - Vortragsreihe der Jüdischen Gemeinde Kassel und des Sara Nussbaum Zentrums für Jüdisches Leben
Wie geht man mit aktuellem Judenhass, gerade im künstlerischen Kontext, um? Die Anfang des Jahres geäußerten Vorwürfe gegen die documenta fifteen und die kürzlich angekündigte Gesprächsreihe der Kasseler Kunstschau machen diese Frage hoch aktuell.
Die Jüdische Gemeinde Kassel und das Sara Nussbaum Zentrum für Jüdisches Leben veranstalteten vor diesem Hintergrund eine Vortragsreihe mit dem Titel „serious ! talk“ (engl. „ernsthaftes Gespräch“). Zu Wort kamen Experten zu gegenwärtigen Formen des Antisemitismus in der Kunst und im wissenschaftlichen Betrieb.
Hintergrund der Vortragsreihe:
„Das Sara Nussbaum Zentrum beschäftigt sich in seiner Arbeit seit sechs Jahren erfolgreich in Ausstellungen, Bildungsarbeit, Veranstaltungen und Aktionen mit Themen rund um Antisemitismus und jüdisches Leben in Kassel und in der Region“, so Elena Padva, Leiterin des SNZ. Der Blick auf die Gästeliste der documenta-Reihe habe nun gezeigt, dass weitere personelle Schwerpunkte nötig und auch möglich seien.
Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte sich in dieser Woche in einem Brief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Debatte geäußert. „Gegen Antisemitismus helfen nur klare Bekenntnisse und noch viel mehr, entschlossenes politisches Handeln auf jeder Ebene von Politik, Kunst, Kultur und Gesellschaft“, schreibt Schuster. Von dieser Verantwortung dürfe sich niemand – auch nicht im Namen der Kunstfreiheit – freisprechen. „Wir können dieser Haltung nur vollumfänglich zustimmen“, sagt Ilana Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel.
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